Aufgewachsen mit vielen Geschwistern habe ich früh gelernt, Rücksicht zu nehmen und Verantwortung zu übernehmen. Meine Mutter hat uns vorgelebt, aus dem, was man hat, das Beste zu machen und durch eigene Anstrengung voranzukommen. Mein erster Berufswunsch, als Restauratorin zu arbeiten, ließ sich aus finanziellen Gründen nicht verwirklichen, und so schloss ich zunächst eine kaufmännische Ausbildung ab. Meinen künstlerischen Ambitionen wollte ich mich in meiner Freizeit widmen. Der Umgang mit den Kunden und mit netten Kollegen machte mir Freude. Nach der Geburt meiner zweiten Tochter gab ich meinen Beruf auf, um mich ganz der Erziehung meiner Kinder zu widmen. Nachdem ich mich zunächst ehrenamtlich in der Gemeinde engagierte, übernahm ich, anfangs vertretungsweise, später eine feste Anstellung im Pfarrbüro. Dabei war es mir vor allem ein Anliegen, in Kontakt mit anderen Menschen zu sein.
Als die Kinder größer wurden, wuchs in mir der Wunsch, meine ehrenamtliche Tätigkeit in der Gemeinde durch ein Theologiestudium zu professionalisieren. Da ich jedoch nicht kirchlich verheiratet bin, war eine Anstellung als Pastoralreferentin nicht vorstellbar. So entschied ich mich stattdessen für das Studium der Sozialen Arbeit.
Studium, Beruf, Ehrenamt und der Familie gleichermaßen gerecht zu werden, stellte sich als große Herausforderung dar. Eine Erkrankung kurz vor dem Abschluss des Studiums führte zu einer persönlichen Krise und zwang mich dazu, das Studium für längere Zeit zu unterbrechen. Während dieser Zeit musste ich auch erkennen, dass ich zukünftig nicht mehr voll arbeitsfähig und insgesamt weniger belastbar sein würde. Trotzdem schloss ich das Studium drei Jahre später erfolgreich ab.
Kurz darauf folgte mit der beruflichen Versetzung meines Mannes der nächste große Einschnitt in meinem Leben. Die Kinder waren zu diesem Zeitpunkt bereits ausgezogen, und wir verkauften unser Haus, um in Berlin noch einmal einen Neuanfang zu wagen. Dass ich für diesen Wunsch meines Mannes alles, was mir bis dahin Freude und Halt im Leben gegeben hatte, zurückließ, wurde mir erst bewusst, als es bereits zu spät war. Familie und Freunde waren weit entfernt, ich musste mich arbeitssuchend melden. Da es aufgrund meiner krankheitsbedingten Einschränkungen zunächst nicht möglich war, einen geeigneten Job zu finden, geriet ich in einen Kreislauf aus Maßnahmen des Jobcenters, die ich als wenig hilfreich empfand. Zahllose Bewerbungen brachten keine oder eine negative Rückmeldung. Dies führte bald in eine weitere, schwere Krise. Ich hatte das Gefühl, am falschen Ort zu sein und nicht gebraucht zu werden. Ich fühlte mich abgestempelt und entwertet wie ein alter Fahrschein.
Eine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Telefonseelsorge gab mir ein Stück Lebensqualität zurück, das Gefühl, doch etwas beitragen zu können. Gleichzeitig wurde mir jedoch auch klar, dass dies nicht das Leben war, was ich mir wünschte.
Als mein Mann eine Trennung vorschlug, war dies zunächst ein Schock. Ich entschied mich, umgehend ins Rheinland zurückzukehren. Familie und Freunde empfingen mich mit offenen Armen. Eine Auszeit im Kloster half mir, meinen Lebensweg neu zu bedenken. Das hiesige Jobcenter nahm meine krankheitsbedingten Einschränkungen erstmalig ernst. Eine medizinische Rehamaßnahme ergab, dass ich nur beschränkt erwerbsfähig bin. Ich fand bald eine Teilzeitstelle, die mir große Freude macht und es mir ermöglicht, meine Erfahrungen und Fähigkeiten sinnvoll einzubringen. Darüber hinaus habe ich wieder die Möglichkeit, mich in einer Gemeinde zu engagieren und bin auch dadurch schnell in meinem neuen Lebensabschnitt angekommen. Mein Glaube hat mir in den schwierigen Phasen meines Lebens Halt gegeben.