In der Bibel findet sich eine Fülle von Berichten und Erzählungen zu besonderen Begegnungen. Diakon Dr. Barthel Schröder greift je ein Beispiel aus dem Alten und dem Neuen Testament heraus.
Begegnung zur Versöhnung
Papst Franziskus hat daran erinnert, dass eine Gottesbegegnung vorrangig in der Begegnung von Menschen stattfindet. Bei dieser Aussage wird er sicherlich an die Begegnung von Jakob und Esau (Gen 32-33) gedacht haben.
Jakob will in seine Heimat zurückkehren, wo sein Bruder Esau noch wohnt, dem er wahrlich übel mitgespielt hat. Nicht nur dass er ihm schon bei der Geburt den Vorrang streitig gemacht hat (Gen 25,21ff), sondern er hat ihm auch durch ein Linsengericht seine Erstgeburtsrechte abgeschwatzt (Gen 25,27ff) und ihn mit Hilfe seiner Mutter Rebekka um den väterlichen Segen gebracht (Gen 27). Esau trachtet ihm daraufhin nach dem Leben, so dass Jakob fliehen muss.
Nun steht die Rückkehr nach vielen Jahren in der Fremde an und das Wiedersehen mit seinem Bruder. Dass Jakob davor Angst hat, ist verständlich: "Entreiß mich doch der Hand meines Bruders, der Hand Esaus! Denn ich fürchte, dass er kommt und mich erschlägt" (Gen 32,12), so betet er zu Gott. Doch Gott tut ihm diesen Gefallen nicht. Auf sich allein gestellt, schickt er einen erheblichen Teil seiner Herde als Vorabgeschenk an Esau, um gutes Licht zu machen. Dies scheint auf den ersten Blick nichts zu bewirken, denn Esau kommt mit vier-hundert Männern direkt auf ihn zu.
Doch das Wiedersehen der Brüder verläuft anders als von Jakob befürchtet. Nicht Rivalität und Neid bestimmen ihre Begegnung: "Esau lief ihm entgegen, umarmte ihn und fiel ihm um den Hals; er küsste ihn und sie weinten" (Gen 33,4). Jakob drängt Esau sein vorausgeschicktes Geschenk mit den Worten auf: "Denn dafür habe ich dein Angesicht gesehen, wie man das Angesicht Gottes sieht, und du bist mir wohlwollend begegnet."
Eine Begegnung kann zur Versöhnung werden, wenn auf der einen Seite das Fehlverhalten eingestanden wird, das zur Trennung führte. Daher wirft sich Jakob siebenmal vor Esau auf den Boden. Und zum anderen Verzeihung gewährt wird: "wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe" (Gen 33,10). Dann findet Gottesbegegnung statt, denn jeder Mensch ist nach unserem Glauben ein Abbild Gottes.
Jesus begegnen
Nach Johannes ist die erste Frage, die die Jünger Jesus stellen. "Rabbi, wo wohnst du?" (Joh 1,38). Was für eine seltsame Frage. Und die Antwort Jesu ist eigentlich auch gar keine Antwort: "Kommt und seht!"
Frage und Reaktion werden nur durch das verständlich, was vor diesem ersten Zusammentreffen geschah: "Die beiden Jünger hörten, was er (Johannes) sagte und folgen Jesus" (Joh 1,36).
Hören und Mitkommen sind die Voraussetzung für eine Begegnung mit Jesus.
Am Anfang steht das Hören. Ohne Hören kann es bei Jesus kein Mitkommen geben. Erst die Verkündigung eröffnet einen Weg zum Glauben an ihn und ermöglicht so die Nachfolge.
Verkündigung besitzt diese Bedeutung aufgrund der Macht des Wortes, die dadurch deutlich geworden ist, dass nach der Bibel Gott mit Worten die Wirklichkeit erschaffen hat und wieder erschaffen wird.
Verkündigung kennt Worte anderer Art: nicht das erklärende, argumentative, pädagogisierende Wort, sondern Worte, die etwas Neues auftun, neue Wege weisen, in das Geheimnis Gottes einführen wollen und auf diese Weise das Glaubensereignis auslösen können. Johannes Worte: "Seht, das Lamm Gottes!" erklären nichts, versuchen nicht argumentativ zu überzeugen. Sie stoßen aber in den Jüngern unverhofft etwas an, ermöglichen einen Neuanfang, weisen einen neuen Weg des eigenen Lebens.
Nur derjenige lernt nach dem Hören diesen Jesus von Nazareth näher kennen, der mitkommt, der seinen eigenen Lebensweg an ihm ausrichtet; nur wer sich in seinem Leben wirklich auf diesen Jesus einlässt, hat die Chance zu erfahren, wer er ist, und wie der Gott, den er seinen Vater nannte, zu den Menschen ist.