Ottavio: Und genau dafür muss ich mit Kindern ins Gespräch kommen, ihnen ihr Verhalten oder das, was sie sagen, spiegeln, etwa wenn sie sich als Behinderte beschimpfen, worüber ich mich kürzlich sehr geärgert habe. Ich habe dann versucht zu erläutern, was es bedeutet behindert zu sein. Über solche konkreten Fälle muss man dann immer wieder reden.
Und als Eltern und Großeltern Dankbarkeit vorzuleben, hilft Kindern sicherlich ebenfalls zur Orientierung.
Ottavio: Klar, es hat gar keinen Sinn, wenn man Fernsehnachrichten über den Bürgerkrieg in Syrien sieht und seinen Kindern sagt, sei dankbar, dass du hier im Frieden lebst.
Ruth: Aber auch darüber können wir mit unseren Kindern und Enkelkindern ins Gespräch kommen und sagen, stell dir doch einmal vor, hier auf die Südstadt würden auf einmal Bomben fallen und wir müssten alles zurücklassen und tausende Kilometer zu Fuß in ein fremdes Land flüchten – ich glaube, wenn man die Situation auf diese Weise durchspielt, entwickeln wir ein Gespür für die Not anderer einerseits und für das Geschenk, im Frieden zu leben, andererseits.
Die Normalität des Friedens und des Wohllebens kann recht stumpf und übellaunig machen.
Ottavio: Allerdings. Als Lehrer hatte ich kürzlich in einer Klasse unterrichtet, in der auch viele Flüchtlingskinder waren. Es ging darum, dass die Kinder miteinander reden und die Flüchtlingskinder Deutsch lernen sollten. Ein Fünfzehnjähriger aus Syrien erzählte von seiner Flucht und irgendwann zeigte er uns die Verletzungen und Narben auf seinem Rücken, die er von Glassplittern davongetragen hatte. Dabei strahlte er und sagte, dass er glücklich und dankbar sei, in Deutschland zu sein.
Also öffnet uns das bedrohte Leben für Dankbarkeit. Ich möchte aber noch einen anderen Aspekt hinzufügen. Ich empfinde Dankbarkeit auch in einem anderen Zusammenhang. Vor Milliarden Jahren hat eine geheimnisvolle Kraft für den Urknall gesorgt, für Raum und Zeit, für Galaxien und Planeten und für Leben auf unserer Erde. Und dieser Schöpfergeist wirkt bis in unsere Gegenwart, bis in unser Gespräch. Ich erkenne uns selbst als geheimnisvolle Wesen, die sich über ihr erstaunliches Dasein austauschen. Dafür bin ich unendlich dankbar.