Müssen Flüchtlinge dankbar sein?

Die Pfarrbriefredaktion sprach mit Monika Kuntze, der Leiterin des Geschäftsfeldes Integrations- und Familienhilfen im Caritasverband für die Stadt Köln.

Auf dem Flur vor Monika Kuntzes Büro ist kaum ein Durchkommen – Männer und Frauen jeden Alters sitzen und stehen dicht gedrängt, geduldig wartend, freundlich grüßend. "Heute ist Sprechstunde", höre ich auf Nachfrage, Alltag im Caritaszentrum in der Kalker Bertramstraße, wo viele caritative Dienste und Einrichtungen ihren Platz haben.

Ich frage: "Sind Flüchtlinge eigentlich dankbar oder undankbar?" und bekomme zur Antwort, dass es die Flüchtlinge nicht gibt, sondern eine Vielfalt unterschiedlichster Lebenswege, Erfahrungen und Prägungen – familiäre, kulturelle, religiöse. Deshalb ist eine pauschale Antwort unmöglich. Was es aber auf jeden Fall gebe, seien – oft unreflektierte – Erwartungen auf beiden Seiten.

Monika Kuntze ist es wichtig, zwischen professionellen und ehrenamtlichen Kräften zu unterscheiden. "Von professionellen Kräften in der sozialen Arbeit ist zu erwarten, dass sie Menschen zur Unabhängigkeit und Eigenständigkeit verhelfen. Eine dauerhafte Hilfsbedürftigkeit kann nicht das Ziel sein." Deshalb gehöre dazu auch die Ermutigung, eigene Rechte wahrzunehmen. Das könne manchmal im Miteinander anstrengend und unbequem sein, aber wenn Flüchtlinge etwas einfordern, sei das meist angemessen, auch wenn nicht wenige Menschen das als undankbar und unangemessen empfinden. Als Beispiele nennt Kuntze den schnellen Zugang zu Deutschkursen und eine zeitnahe Überprüfung von Berufsabschlüssen.

Monika Kuntze: '... die Flüchtlinge gibt es nicht.'

Dauerhaft dankbar sein zu müssen, ist nicht nur für Flüchtlinge eine schwierige Erfahrung – wir alle kennen das Sprichwort Geben ist seliger denn Nehmen, in dem aufscheint, dass sich Menschen klein fühlen können, abhängig, nicht auf Augenhöhe, wenn sie in der Nehmerrolle sind. Augenhöhe kann entstehen, wenn wir für Flüchtlinge Gelegenheiten schaffen, selbst etwas zu geben (solange wir keine Arbeitsplätze haben), zum Beispiel als Dolmetscher oder in der Begleitung und Unterstützung von anderen Geflüchteten. Nach Erfahrung der Experten/innen möchten Flüchtlinge ihre Dankbarkeit damit ausdrücken, dass sie selbst aktiv sind.
Ehrenamtler dürfen nach Monika Kuntze andere Ansprüche haben als Profis in der sozialen Arbeit. Sehr legitim ist der Wunsch nach Anerkennung. Sie möchten erfahren, dass ihr Tun gewinnbringend für Geber und Empfänger ist. Dabei gebe es große Unterschiede im kurzfristigen oder längerfristigen Engagement. Die Helfenden etwa bei der Drehscheibe am Flughafen haben ungeahnte Kräfte mobilisiert – das gehe kurzfristig und bringe tiefe Zufriedenheit und die beglückende Erfahrung unmittelbarer Dankbarkeit.

Ero¦êffnung-Intern-Caritas-Zentrum

Freude und Dankbarkeit bei der Eröffnung des Internationalen Caritas-Zentrums in der Zülpicher Straße.
 
 
Schwierig kann es werden, wenn die Hilfen über einen längeren Zeitraum nötig sind oder wenn Erfolg und Anerkennung ausbleiben. Da geht ein Kind nicht zur Schule, obwohl ein Platz da ist; da versäumt ein Vater den Deutschkurs immer wieder, obwohl es viel Mühe gekostet hat, diesen Kurs zu finden. Mühsam ist es nicht selten, das eigene (Ver)Urteilen zunächst einmal zurückzustellen, innezuhalten mit der Zuschreibung "Undankbar!" und nachzuforschen, womit das beobachtete Verhalten zu tun haben könnte. Unzählige Gründe kann es dafür geben, so Monika Kuntze, und spätestens hier ist ein gutes Zusammenwirken von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Kräften angesagt, um Problemlösungen anzugehen und so die Motivation ehrenamtlich Engagierter aufrecht zu erhalten.

Wie und wann Dankbarkeit in Worten oder Gesten zum Ausdruck gebracht wird, kann je nach Tradition oder Kultur des Herkunftslandes sehr unterschiedlich sein. Das zu wissen und nicht ungeprüft von der Annahme auszugehen, dass die uns vertrauten Formen auch anderwärts gelten, ist nach Meinung von Kuntze unerlässlich für ein möglichst störungsfreies Miteinander. Da ist eine syrische Familie in dörflicher Umgebung verunsichert, als sie nach der Erstkommunion ihres Kindes im Briefkasten Umschläge mit Geld von Nachbarn vorfindet – wie es Tradition im Ort ist. Die Familie schweigt, tut nichts und gilt fortan als undankbar. Bis ein Nachbar sich ein Herz fasst und erklärt, welche Form von Dank hier üblich ist.

"Was soll ich dir tun?" Diese Frage Jesu an den Blindgeborenen ist für Monika Kuntze zentral in der Flüchtlingsarbeit. In einer Haltung interessierter und forschender Anteilnahme herauszufinden, welche Art von Unterstützung im Einzelfall erforderlich und angezeigt ist, scheint selbstverständlich, ist es aber nach ihrer Erfahrung bei weitem nicht immer. Bevor ich ein Fahrrad verschenke, macht es Sinn zu prüfen, ob der Beschenkte Fahrrad fahren kann (oder noch einen Kurs braucht). Eine Wickelkommode wird nur gebraucht, wenn die Mutter nicht nach ihrer Tradition ihr Kind lieber auf dem Boden wickelt.

Resümierend betont Monika Kuntze den gesellschaftlichen Gewinn der Flüchtlingshilfe. Ein wenig beachteter Aspekt ist für sie die neu belebte Auseinandersetzung mit den Erfahrungen von Flucht und Vertreibung in der Nachkriegszeit hierzulande. Bereichernd erlebt sie die Einladung, andere Kulturen und fremde Lebensweisen kennenzulernen und durch den fremden Blick auf unser Leben das eigene Verhalten mal wieder in Frage zu stellen und zu reflektieren.

Deutsch lernen eröffnet viele Möglichkeiten. (c) SilviaBins