Beginn der Sommerferien 1994, am nächsten Tag wollen wir für vier Wochen nach Kärnten fahren, zum Baden und Wandern. Wir waren damals noch nicht verheiratet und hatten getrennte Wohnungen. Da läutete vormittags, als ich packte, mein Telefon: "Herr K., sie müssen sofort nach Köln kommen. Es ist etwas Schlimmes passiert, Frau W. ist überfallen worden!"
Vor ihrem Haus in der Laudahnstraße eine Gruppe von Menschen, auch Polizei. "Frau W. ist jetzt in der Uniklinik." Der Täter, offenbar geistig verwirrt, war von draußen gekommen und hatte sie im Haus auf der Treppe niedergeschlagen. Dann hatte er das Haus wieder verlassen und zu den Leuten unten gesagt: "Ich glaube, die Frau ist tot." Als die Polizei eintraf, ließ er sich widerstandslos festnehmen.
An einem Absatz im Treppenhaus die Wand blutbespritzt, eine große Blutlache auf dem Boden. In der Wohnung halb gepackte Koffer und Taschen.
In der Klinik: "Frau W. wird gerade operiert. Ihr Leben ist nicht in Gefahr. Sie hat aber das linke Auge verloren. Kommen Sie am besten so gegen fünf wieder. Dann ist sie in der Intensivstation."
In der Intensivstation: Dass sie es war, musste ich glauben. Fast der ganze Kopf dick verbunden. Was man vom Gesicht sah, war verquollen, in allen Farben des Regenbogens. Aber sie atmete ruhig (natürlich die Narkose). "Renate, ich bin da, Karl!" Ich streichelte ihre Hand, mehr konnte ich nicht tun.
Am anderen Nachmittag war sie schon ansprechbar. Als der Arzt ihr eröffnete, dass sie ein Auge verloren hatte, blieb sie erstaunlich gefasst. "Kann ich wieder schwimmen?" "Ja." Sie kam schnell wieder auf die Beine. Gegen Ende der Ferien konnten wir schon im Heider Bergsee schwimmen. Als die Sommerferien zu Ende waren, kam sie auch wieder ohne mich in Köln zurecht .
Als die Heilung weit genug fortgeschritten war, bekam sie ein Kunstauge aus Glas. Beim ersten Mal, als ich es ihr einsetzen wollte, hielt sie kaum still. Warum nicht? Weil sie so lachen musste! Vermutlich habe ich ein besonders dummes Gesicht gemacht ...
Langsam normalisierte sich unser Leben so ziemlich wieder. Meine Frau hatte weder an den Täter noch an den Ablauf der Tat konkrete Erinnerungen. Beeinträchtigungen blieben natürlich. Beklagt über die Behinderung hat sie sich nie. "Ich habe dem Täter verziehen." Der hatte sich brieflich bei ihr entschuldigt. Da geistig verwirrt, wurde er unter Auflagen und zur Bewährung verurteilt. Inzwischen ist er gestorben.
Im nächsten Sommer fuhren wir wieder nach Kärnten. Die gemeinsamen Bergtouren fielen nun etwas kürzer aus.
Durchkreuzt? Ja, Gott erspart einem ein Kreuz nicht. Aber was man tragen muss, trägt man dann auch. Und es bleibt einem unbenommen zu glauben: Gott hilft tragen.
♦
Karl K.