Kein himmelblaues Cabrio...

Am Steuer eines himmelblauen Cabrios sitzen, das war ein Traum von Miriam, bevor sie 80 Prozent ihres Augenlichtes einbüßte. Claudia K., Miriams Mutter, erzählt es lächelnd, aber gleichzeitig wischt sie eine Träne ab, wie noch mehrfach im Gespräch. Wir sitzen im Café: "Hier im Raum würde Miriam mich nicht finden", erklärt sie mir zur Verdeutlichung der Behinderung.

Sie hat sich spontan bereiterklärt, mit der Pfarrbriefredaktion zu sprechen. Ihre Tochter (11 Jahre alt) besucht die Schule für Sehbehinderte in der Löwengasse (Nähe Severinsbrücke). Fünf Kinder sind in ihrer Klasse und zwei Lehrpersonen, eine optimale Betreuung, findet die Mutter.

 

"Miriam ist ein Nachzügler", erzählt Claudia K., die mit 42 Jahren noch einmal schwanger wurde. Die Eltern sind jeweils in zweiter Ehe verheiratet und haben aus den früheren Verbindungen noch zwei Töchter und einen Sohn, alle erwachsen und außer Haus. Bis zum neunten Lebensjahr verlief die Entwicklung des Mädchens ohne jede Besonderheit. Und dann kamen Miriams Klagen, sie könne an der Tafel nichts mehr lesen. Nach umfänglichen medizinischen Untersuchungen stand die Diagnose fest: Stäbchen-Zapfen-Dystrophie, eine sehr seltene Erkrankung (nur 2000 Menschen in Deutschland sind davon betroffen). Ursache ist ein Gen-Defekt, dessen Auswirkungen erst im 9. Lebensjahr auftreten. Eine spätere Erblindung ist nicht sicher, aber auch nicht auszuschließen. Mit einer Reduzierung der Sehkraft auf 20 Prozent kam die Erkrankung bei Miriam bis jetzt zum Stillstand.

"Es hat eine Weile gedauert, bis ich die Tragweite dieser Erkrankung ganz an mich heranlassen konnte", stellt Claudia K. fest. "Und für meinen Mann ist es noch schwerer als für mich, er leidet stumm, mag sich nicht mitteilen." Wie ihre Zukunft sich gestalten wird, was für einen Beruf sie ergreifen kann, ob sie eigenständig wird leben können, das macht den Eltern Sorge, und auch die Tatsache, dass sie beide nicht mehr ganz jung sind – Claudia K. ist 54, ihr Mann 10 Jahre älter, gesundheitlich stark eingeschränkt und bedarf ihrer Fürsorge.

Ein großes Glück ist der Hund (c) privat

Seit Miriam in der Spezialschule ist, hat sie am Lernen wieder Freude. Ab Sommer wird sie in eine weiterführende Internatsschule nach Soest wechseln. Das wird ein großer Einschnitt in das Familienleben, vor dem die Mutter sich etwas fürchtet, den sie aber auch als Chance sieht. Überhaupt ist sie bemüht, den unveränderbaren Tatsachen Positives abzugewinnen. "Miriam hat eine wunderbare Freundschaft mit einem blinden Mädchen geschlossen, das auch mit nach Soest geht. Und ich sage mir und auch Miriam, dass Gott ihr diese Freundin zugedacht hat." Die beiden Mädchen sind viel zusammen, trotz ihrer eigenen großen Einschränkungen kann Miriam sie oft unterstützen. Allerdings hat Miriam viel an Selbständigkeit und Selbstvertrauen verloren, ist ängstlich und unsicher geworden. Eine Plakette, die ihre Behinderung anzeigt, will sie (noch?) nicht tragen. Und viele Dinge sind einfach nicht mehr möglich: Eine Geburtstagseinladung zum Klettergarten kann nicht angenommen werden, und auch sonst fühlt sich das Mädchen manchmal als Last im Kreis der Gleichaltrigen. Ihr großes Glück ist ein Hund, den sie seit einer Weile mit ärztlichem Attest haben darf (zuvor verbot der Vermieter das); auch das verbucht die Mutter als positive Wendung und als Hinweis auf Gottes Beistand.

 Claudia K. ist Kommunion-Katechetin in ihrer Gemeinde – schon zum dritten Mal. In jungen Jahren habe sie mit der Kirche nicht viel zu tun gehabt, berichtet sie. Zwar hat ihr die Großmutter den Glauben nahe gebracht, aber dann gab es viele Jahre des Abstands. Als Katechetin hat sie sich mit Glaubensfragen neu befasst und ist überzeugt: "Mein Glaube hilft mir sehr. Ich freue mich, sonntags zur Messe zu gehen und bin auch nach Jahrzehnten wieder zur Beichte gegangen, nachdem die Kinder zur Vorbereitung auf die Erstkommunion zur Beichte gingen". Eine gute Erfahrung sei das gewesen. Schwer ist es aber, in der Kirche die biblischen Heilungsgeschichten zu hören, etwa die vom blinden Bartimäus....

Sorge für andere gehört zu Claudia K.s beruflichem Alltag. Die aktiv und jugendlich wirkende gelernte Apothekenhelferin hat eine Art Hausmeisterstelle in einem Seniorenwohnhaus, in dem 36 Menschen im betreuten Wohnen leben. Da ist sie Ansprechpartnerin für viele Sorgen und Nöte. Aber sie versucht auch, für sich zu sorgen, selbst wenn es seit Miriams Behinderung und der Erkrankung ihres Mannes mit viel organisatorischem Aufwand verbunden ist, ein paar Tage allein wegzufahren. "Da tanke ich dann auf, und das brauche ich auch." Claudia K. ist überzeugt: "Miriam wird ihren Weg gehen, und ich kann sie unterstützen, wenn ich guten Mutes bin."

Das Gespräch mit Claudia K. führte Ingrid Rasch.

Den nachfolgenden Text schickte spontan eine Kinderärztin nach einem Gespräch über das Pfarrbrief-Thema:

Mit vielen Jahren Berufserfahrung gibt es zu vielen Themen persönliche Erlebnisse. Bei Deinem Sprechen über ein sehbehindertes Kind und "Durchkreuzen" fiel mit ein 9jähriger Junge mit Hirntumor ein, der bei seinem letzten Rückfall eine Halbseitenlähmung mit halbseitiger Erblindung erlitt und dabei seinen wundervollen Charakter behielt. Während der Vater über den eindeutigen CT-Bildern verzweifelte und das Geschehen mit aller Macht aufhalten oder ignorieren wollte, brachte die Mutter es nicht übers Herz, ihrem Kind noch therapiebedingte Einschränkungen aufzuerlegen, und so beschloss sie, ihrem Jungen die Schönheit der Welt zu zeigen. Die Familie wohnte ländlich und war nicht mit Reichtum gesegnet. Der Traum bestand darin, einmal die Alpen zu "durchkreuzen" und so entstand der Plan zu einer gemeinsamen Reise.

Mit maximalem Support der Klinik machten sich die Eltern mit Ihrem Sohn auf den Weg und kamen gut zwei Wochen später alle drei glücklich und zufrieden nach Hause zurück. Die Erkrankung war sichtbar fortgeschritten, aber der zuvor so zerrissene Vater war mit sich im Reinen und erzählte, dass sie, fasziniert von der Schönheit der Berge, "kreuz und quer" durch die Alpen gefahren seien, so wie der Junge ein neues Ziel entdeckt habe. Der Schluss-Satz hieß: Unser todkrankes Kind hat uns die Schönheit der Erde gezeigt, wir haben sie mit seinen Augen gesehen.