Fremde, die keine Israeliten waren und aus einem anderen Land kamen, wurden hingegen als Ausländer bezeichnet. Sie konnten im Gegensatz zu den Fremden nicht der menschlichen Solidarität gewiss sein. Man gewährte ihnen zwar eine kurze Gastfreundschaft, aber der Ausländer blieb darum Fremder, weil er den Gott Israels nicht verehrte. Nur der Glaube an Jahwe konnte die Fremdheit überwinden.
In der Sprache des Neuen Testamentes werden der Fremde und der Gast mit dem gleichen Wort bezeichnet. Potentielle Gastgeber mussten in der antiken Welt regelrecht davon überzeugt werden, Gastfreundschaft zu gewähren. Dies konnte durch ein Empfehlungsschreiben geschehen, durch die Zugehörigkeit zur gleichen philosophischen Schule oder aber die gleiche religiöse Ausrichtung. Für die ersten Christen überwand ausschließlich der gemeinsame Glaube an Jesus von Nazareth die Fremdheit.
Unbestritten – nach neuen bibelwissenschaftlichen Erkenntnissen – ist heute, dass mit den "geringsten Brüdern" im Matthäus-Evangelium (Kapitel 25, Vers 40) nicht alle notleidenden Menschen, sondern ausschließlich notleidende Gemeindemitglieder gemeint waren.
Gastrecht, tätige Hilfe und Integration ausschließlich für die Menschen, mit denen man die religiöse Überzeugung teilt – ist das die Antwort der Bibel?
Jesus hat uns zugesagt, dass der Heilige Geist uns immer tiefer in die Wahrheit einführen wird, und so wird auch hier das Wortes Gottes weiter entfaltet: Im Lauf der Zeit hat sich die Bedeutung der "geringsten Brüder" ausgeweitet auf alle Menschen in Not. Nicht der gemeinsame Glaube überwindet heute die Fremdheit, sondern die Überzeugung, dass alle Menschen Kinder unseres Gottes sind. Diese Ausweitung spiegelt zudem die grenzenlose Menschenfreundlichkeit unseres Gottes wider, lässt sie sichtbar werden für alle Menschen guten Willens.
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Barthel Schröder