Sie haben sicher noch einen alten Liebesbrief oder den Brief eines lieben Menschen in irgendeiner Schublade liegen. Lesen Sie den mal langsam und laut. Könnte es sein, dass Ihnen der Autor des Briefes lebendig wird, dass Sie seine Stimme hören?
Das gilt nun nicht für alles, was gedruckt wird. Es gilt nicht für das Kleingedruckte, für die AGBs, nicht für Beipackzettel und Gesetzestexte und dergleichen. Das gilt nur für Literatur. Aber was ist Literatur? Alles, was mit Liebe zur Welt, zum Menschen und zur Sprache geschrieben wurde, ist Literatur.
Leise Lesen heißt aber auch schneller lesen. Ein Vergleich mit dem Essen sei gestattet. Wer Hunger hat und wenig Zeit, stopft sich was rein – auf der Straße, aus der Tüte – und ist satt. Aber wie hat es geschmeckt? Keine Ahnung. Hauptsache ich bin satt. Aber satt sein ist beim Essen ja nicht alles: eine kleine Portion auf dem Teller, der Duft, die Farbe, die Struktur, der sich wandelnde Geschmack auf der Zunge: mmmh lecker. Ein ganz anderes Erlebnis als schnell satt zu werden. Lesen ist also auch meditieren. Einen Text lesen und immer wieder lesen, ihn sozusagen kauen, in seine Tiefe steigen, ihn sich aneignen …
Ein Bild legt fest. Es brennt sich fest ins Hirn und bleibt. Und alle, die das Bild gesehen haben, haben mehr oder weniger das gleiche Bild im Kopf. Ganz anders die gelesenen Worte. Unsere Erfahrung und unsere Phantasie nehmen das Gelesene auf und formen es zu ganz individuellen Vorstellungen. Jeder hat andere Bilder im Kopf. Das Wort macht frei, das Bild legt fest.
Bekannt ist das Wort Heraklits: Kein Mensch steigt zweimal in den gleichen Fluss. Das gilt auch für Bücher. Kein Mensch liest zweimal das gleiche Buch. Er entdeckt neue Perspektiven, was beim ersten Lesen unbedeutend war, gewinnt nun an Gewicht … usw.
So lieber Leser, jetzt lesen Sie bitte weiter, was andere zu diesem Thema geschrieben haben.
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Ihr Johannes Krautkrämer