Jede einzelne Religion ist zu einer "Marke" im Markt der religiösen Angebote geworden. Vierzig Prozent aller US-Christen wechseln mindestens einmal in ihrem Leben die Konfession. Gründe für diesen Wechsel sind auch bei Katholiken nicht Glaubensinhalte oder moralische Vorschriften, sondern eine empfundene fehlende spirituelle Beheimatung.
Wie bei den übrigen Produkten findet auch beim Konsum von Religion eine individuelle Anpassung statt. Aufgrund der mit der Pluralität verbundenen Gleichwertigkeit von Überzeugungen setzen sich in den USA immer mehr Menschen daher ihren eigenen Glauben patchworkartig aus Elementen unterschiedlicher Religionen zusammen. Umfragen zeigen, dass sich Menschen als Christ bekennen, obwohl wesentliche christliche Glaubensinhalte negiert oder ersetzt werden, z. B. die Wiederauferstehung von den Toten durch die buddhistische Vorstellung einer Seelenwanderung.
Da mit dem Konsum immer auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe gesehen wird, hat das System der Pfarreien in den USA an Bedeutung verloren, man fühlt sich eher einer bestimmten katholischen Gruppe zugehörig.
Die heutige Theologie hat die An- und Einsprüche der modernen Welt ernst genommen und Glaubensinhalte neu interpretiert. Damit wurden aber die Konturen des Glaubens für viele Menschen verschwommen und die Abgrenzungen zu anderen religiösen Überzeugungen unverständlich. Was "katholisch" ausmacht, wurde in der Öffentlichkeit der USA nur noch bedingt sichtbar.
Die aktuell primäre Antwort der Kirche ist heute ein evangelikaler Katholizismus: in der Lehre traditionell, in moralischen Fragen konservativ, bei einem buchstäblichen Bibelverständnis und Betonung der eigenen Besonderheiten.
Eine zweite, immer mehr Anhänger findende Antwort ist ein pfingstlicher Katholizismus: ein ausgeprägter Glaube an die Gaben des Heiligen Geistes, der vom eigenen Leben Besitz ergreift, ein tiefes Vertrauen auf Gebetserhörungen, eine Betonung des religiösen Erlebnisses, ein Rechnen mit direkten Offenbarungen Gottes und die Vertretung einer stark konservativen Moral. Gemeindebildung und Gemeindeleben stützen sich auf die gläubigen Laien. Der gravierende Priestermangel führt in den USA zu Seelsorgeeinheiten, die kein Gefühl der Beheimatung mehr aufkommen lassen, und unterstützt damit unabsichtlich die Bildung solcher pfingstlicher Gemeinden in Laienhand.
Ob und, wenn ja, wie weit die Antworten der katholischen Kirche in den USA unsere Gemeinden prägen werden, bleibt abzuwarten. Erste evangelikale Ansätze sind in der zunehmenden Klerikalisierung und in neuen religiösen Bewegungen erkennbar.
Französisches Streiflicht
Beim Besuch der Pariser Kathedrale Notre Dame musste ich feststellen, dass an den Säulen des Kirchenschiffes große Flachbildschirme angebracht worden sind, so dass die Gläubigen hautnah das Geschehen im Altarraum verfolgen können. Die für die Übertragung benötigte Kamera ist auf der Kanzel fest installiert. Die am Gottesdienst Teilnehmenden haben nun den gleichen Blick wie die Zuschauer bei einer Fernsehübertragung aus der Kathedrale.
Statt Figuren oder Gemälden von Heiligen Flachbildschirme – ist das die Zukunft? Wird auf diese Weise der Gottesdienst nicht vorrangig zu einem Event, bei dem es darauf ankommt, das Geschehen optimal im Blick zu haben?
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Barthel Schröder