Früh ein starker Gerechtigkeitssinn

Pfarrbriefleserinnen und -lesern ist Pfarrer Johannes Krautkrämer als Autor von Artikeln bekannt, in denen es um ungewöhnliche und manchmal kritische Blicke auf Kirche und Gesellschaft geht. Zivilcourage scheint ihm auf den Leib geschrieben zu sein. Wie ein roter Faden ziehen sich mutiges Handeln und Zivilcourage durch sein Leben. Seit 2009 gehört er zum Seelsorgeteam von St. Severin. Marianne Ricking hat mit ihm gesprochen.

'Nimm Dir eine Zwiebel mit', meinte ein Onkel, 'damit du dein Weinen nicht immer erklären musst.' (c) SilviaBins

'Nimm Dir eine Zwiebel mit', meinte ein Onkel, 'damit du dein Weinen nicht immer erklären musst.'

Warst Du als Kind mutig?

Eigentlich nicht, ich war früher sehr schüchtern, ich bin in der Grundschule oft vertrimmt worden; viele Brillen sind zu Bruch gegangen. "Nimm Dir eine Zwiebel mit", meinte ein Onkel, "damit du dein Weinen nicht immer erklären musst."

Wie ist aus dem schüchternen und ängstlichen Kind ein selbstbewusster Erwachsener geworden, der mutig seine Positionen vertritt?

Das war ein langsamer Prozess, der nicht immer stromlinienförmig verlief. Ich hatte schon früh einen starken Gerechtigkeitssinn, der mich antrieb – auch gegen Widerstände – Schwächere zu schützen oder für das einzutreten, was ich als richtig und gerecht erkannt hatte.

Du hast 1964 begonnen, Theologie zu studieren mit dem Ziel Priester zu werden. War das für dich eine mutige Entscheidung?

Nein, aber dieser Entschluss stand schon sehr früh für mich fest. Gleich in den ersten Semesterferien haben wir als junge Theologiestudenten in einem Ferienlager für Bonner Kinder mitgemacht. Da hat der Leiter – so ein richtiger autoritärer Schulrektor – vor versammelter Mannschaft die Post vorgelesen, die die Kinder von den Eltern bekamen. 
Das empfand ich als Verletzung der Persönlichkeitsrechte und habe vehement Einspruch erhoben. Insgesamt war die Zeit im Albertinum, wo die Theologiestudenten zu wohnen hatten, nicht einfach. Ich habe diese Einpferchung oder Kasernierung für mich als sehr schwierig empfunden, aber um mein Ziel zu erreichen, habe ich es durchgestanden.

Und wie war es, als du dann Priester warst?

Meine Predigten waren anfangs sehr "lieb", das hat sich aber bald geändert. Mir war es wichtig, die zentralen Aussagen der Bibel den Menschen nahe zu bringen und sie auf ihr eigenes Leben zu beziehen. Dazu gehörte auch, die biblischen Texte nicht immer wörtlich zu nehmen, sondern sie auf ihren inneren Kern zu befragen. Darauf gab es unterschiedliche Reaktionen:  
Manche haben geschimpft, andere haben sich bedankt und mich bestärkt. 

Wie bist du damit fertig geworden?

Ich habe gemerkt, wenn du zu dem stehst, was du als richtig und wichtig erkannt hast, dann kommst du innerlich für dich einen Schritt weiter, wirst aber auch sicher kein Prälat.

Statt Prälat zu werden, hast du längere Zeit in der Emmausgemeinschaft gelebt und warst ein Jahr als Hilfsarbeiter in einer Fabrik tätig – ziemlich mutige Entscheidungen. Was hat dich dazu bewogen?

Nach dem Abschluss der Uni habe ich ein Jahr lang die Emmausgemeinschaft in Köln geleitet. Wie in einer WG – die es damals noch nicht gab – habe ich mit einigen nicht ganz einfachen Leuten auf einem ziemlich runtergekommenen Bauernhof gelebt und gearbeitet, Wohnungen entrümpelt und so weiter. Manchmal muss man eine Schwelle überschreiten, um die Bodenhaftung zu behalten und um Erfahrungen zu machen, die einem bisher fremd waren. Menschen auf der anderen Seite des Lebens hatten für mich immer eine magische Anziehungskraft. Ich bin dahin gegangen, um Caritas zu leben. Die Kirche erwartet, dass die Menschen zu ihr kommen. Mein Anliegen aber war und ist es, zu den Menschen zu gehen. Das war ein sehr einfaches und hartes Leben in der Emmausgemeinschaft.

Und was war dein Anliegen bei der Arbeit in der Fabrik?

Nach drei Kaplansjahren war ich für einige Zeit Diözesankaplan der CAJ, der Christlichen Arbeiterjugend. Da haben wir die jungen Leute stets animiert, sich in der Gewerkschaft zu organisieren und in der Jugendvertretung mitzumachen. Das war nicht immer leicht für die Leute. Und als meine Zeit in der CAJ zu Ende war, wollte ich so einen Betrieb doch auch selbst erleben und habe dann ein Jahr als Hilfsarbeiter beziehungsweise Arbeiterpriester in einem großen Betrieb gearbeitet. Ich wollte an der Seite der einfachen Menschen sein und ihre Erfahrungen teilen.

Du warst dann Pfarrer in Zollstock, und auch da wurde dir immer wieder Zivilcourage abverlangt.

Ja, da habe ich mich engagiert für eine Gruppe von "Zigeunern", die eine Bleibe brauchten und die niemand haben wollte. Ich hatte keine Erfahrungen mit Menschen dieser Herkunft; aber mir war wichtig, ihnen zu helfen, sie zu unterstützen und machte dabei die Erfahrung, dass auch ich in Vorurteilen gefangen war. Bei einem ersten Besuch bei einer Familie in einem Wohnwagen brachte ich intuitiv mein Portemonnaie in Sicherheit.

Während deiner Zeit als Gemeindepfarrer ist der Wunsch in dir gewachsen, ein Sabbatjahr zu machen.

Meine Eltern starben 2001 kurz hintereinander; das hat mich innerlich mehr berührt als ich wahrhaben wollte. Ich stellte fest, dass ich eine Auszeit brauchte, aber leider stieß ich mit meinem Anliegen bei der Obrigkeit auf wenig Verständnis. Das Sabbatjahr musste ich mir erstreiten. In dieses freie Jahr bin ich dann etwas hilflos hineingestolpert, habe es dann aber gut gestaltet: Zen-Meditation, Wanderungen durch Mexico und Spanien haben es gut gefüllt und die Lust zur Weiterarbeit in der Kirche wachsen lassen.

Wie ging es nach dem Sabbatjahr weiter?

Nach meiner Rückkehr wurde mir freundlich mitgeteilt, dass ich auf der schwarzen Liste stand und keiner Gemeinde mehr als Pfarrer vorstehen würde. Damit konnte ich leben.
In Brühl war ich zunächst mit einem Kollegen für drei Gemeinden zuständig. Als dann einer der drei Brühler Pfarrer in den Ruhestand ging, wurde ich als Pfarrvikar für dessen Gemeinden im Brühler Süden zuständig.
Dann kam ein neuer "Zentralpfarrer" nach Brühl, um die zehn Gemeinden zu einer zusammenzuschustern. Die vier planmäßigen Priester wollte er gleichmäßig auf die zehn Kirchen verteilen. Aber so konnte und wollte ich nicht Seelsorger sein! Ich habe mich in einer Nacht entschieden, das abzulehnen; habe das auch öffentlich gemacht und an die Presse gegeben.
Das hat zu meiner sofortigen Entlassung und einem schönen Zwangsurlaub geführt.

Und wie kamst du nach St. Severin?

Nach zwei Wochen in der Provence erreichte mich der Anruf von Johannes Quirl mit der Anfrage, ob ich Lust hätte, das Seelsorgeteam in St. Severin zu verstärken Das konnte ich leicht bejahen; dazu brauchte es keinen Mut.