"Der Schatz aus St. Severin"

Reliquienlade aus St. Severin (c) Wolfgang F. Meier

Reliquienlade aus St. Severin

so lautete die Headline auf der ersten Seite der "Kölnischen Rundschau" am 13. Juli 2011. Auch andere  Printmedien berichteten in ungewöhnlicher Breite, mehrere Radio- und Fernsehsender brachten Interviews und Reportagen. Warum dieses außergewöhnliche Interesse? Es war doch lediglich ein Buch erschienen, in dem die Befunde einer inzwischen 12 Jahre zurückliegenden Schreinsöffnung in St. Severin vorgestellt werden.

Völlig unerwartet kam 1999 bei der Öffnung des Schreins von St. Severin eine hölzerne Reliquienlade des 10. Jahrhunderts zum Vorschein. Das älteste von den an der Lade befestigten Siegeln – die Siegel geben Hinweise auf Schreinsöffnungen früherer Jahrhunderte – stammte ebenfalls aus dem 10. Jahrhundert. Es erwies sich als das älteste bekannte Siegel eines Kölner Erzbischofs. Die hölzerne Lade barg einen ungewöhnlichen Schatz: Sieben gut erhaltene, großformatige Tücher, teils aus Leinen, teils aus hauchdünner, leuchtend farbiger Seide – allesamt aus der Zeit des 7. bis 10. Jahrhunderts. Die Seiden, kostbarer noch als Gold, waren in frühislamischen Textilwerkstätten Zentralasiens entstanden. Dieser für Europa einmalige Textilschatz ist schon seit einiger Zeit im Sacrarium von St. Severin zu bewundern.

Die Textilien bargen die Gebeine des hl. Severin, die ebenfalls untersucht wurden: Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich tatsächlich um die Gebeine des dritten namentlich bekannten Kölner Bischofs Severin, der um das Jahr 400 lebte – mit letzter Sicherheit zu beweisen ist das nicht. Noch weitere, teils mikroskopisch kleine Objekte wie ein Weintraubenkern oder Roggenfragmente zeugen von der Verehrung des Heiligen, sie sind Fragmente von einstigem Schmuck des Grabes. Schließlich fanden sich die Knochen von drei Mäusen, die im 10.  Jahrhundert im Schrein verendeten. Das ist nicht nur eine Kuriosität, sondern für die Erforschung des Befundes enorm wichtig:

Bevor die Mäuse im Schrein starben, knabberten sie fast alle Textilien an, d.h. die Stoffe müssen bereits im 10. Jahrhundert beisammen gewesen sein.

Wie "reich beschenkt" – entsprechend dem Thema dieses Pfarrbriefes – St. Severin mit diesem besonderen Schatz ist, wurde anlässlich des überwältigen Medienechos auf die Vorstellung des Buches einmal mehr bewusst.

Siegel des Kölner Erzbischischofs (c) Marion Mennicken

Das 602-seitige wissenschaftliche Werk ist zwar mit mehr als 200, meist farbigen Abbildungen bebildert, verlangt aber dem Leser doch einiges ab. Von daher verwundert das anhaltend hohe Interesse am Thema. Es sind gewiss die uralten und dennoch wunderschönen Textilien, die den Betrachter in ihren Bann ziehen, dann aber auch die Mäuse im Schrein oder solche Highlights wie die mehr als tausend Jahre alte Reliquienlade und das älteste Kölner Bischofssiegel.

Letztlich geht es aber um sehr viel mehr: Hier wird eine sehr lange, ununterbrochene Tradition über 1.600 Jahre hinweg (be)greifbar – eine Tradition der Severinusverehrung an St. Severin. Damit bilden die Gottesdienst feiernden Gläubigen nicht nur eine Gemeinschaft der jetzt lebenden Menschen, sondern schaffen Verbindung zu den Menschen früherer Generationen – eine Gebetskette über viele Jahrhunderte hinweg. Die Geschichte der Severinusverehrung zeigt, dass die konkreten Formen dieser Tradition vielfältigen Wandlungen unterworfen waren – wohl nur deshalb sind sie bis heute lebendig geblieben.

schatz_st_severin1_color (c) Wolfgang F. Meier

Weitere Informationen

Besichtigung

Die bei der Schreinsöffnung aufgefundenen Textilien sind in einer Seitenkrypta der Kirche St. Severin – dem Sacrarium – im Rahmen von Führungen öffentlich zugänglich. Anfragen beim Pfarrbüro 

Die Publikation

Der hl. Severin von Köln. Verehrung und Legende, Befunde und Forschungen zur Schreinsöffnung von 1999 

herausgegeben von Joachim Oepen, Bernd Päffgen, Sabine Schrenk und Ursula Tegtmeier

Verlag Franz Schmitt, Siegburg,

ISBN 978-3-87710-456-9, Preis: 49,- €