dass in der Kirche nicht ganz selten das Gegenteil von dem geschieht, was Jesus seinerzeit empfohlen oder gefordert hat?
"Sammelt nicht Schätze..." (Matthäusevangelium, Kapitel 6, Vers 19). Freilich, ein Wanderprediger hat gut reden! Was tun mit den Kostbarkeiten, die sich im Laufe der Jahrhunderte nun mal angesammelt haben? In die Schatzkammer, wie z.B. die des Kölner Domes. Man sagt, die Exponate sind Zeugnisse früheren Glaubens. Viele sicher, aber alle? Ob Jesus selber sich mit den prunkvollen Gewändern und Insignien früherer Kirchenfürsten ausstaffiert hätte? Und welchen Eindruck nehmen die vielen Besucher mit, die nicht aus religiösem Interesse, sondern aus Neugier kommen?
Im alten Rom besuchte eine reiche Dame, mit Schmuck überladen, eine Bekannte und wunderte sich, dass die überhaupt keinen Schmuck trug. Da rief diese ihre Kinder herbei und sagte: „Das ist mein Schmuck!“
Liebe, andächtig in den Pfarrbrief vertiefte Lesergemeinde: Diese Geschichte kann uns auch heute noch etwas sagen! Die Kirche wird manchmal mit einer Mutter verglichen. "Mutter Kirche" klingt zwar etwas veraltet, ist aber eigentlich ein schönes Bild. Und wie steht es um ihren Schmuck, also um ihre Kinder, also um die heutigen Christen, also auch um uns?
Das ist nicht als billiges Moralisieren gemeint. Aber die Frage stellt sich doch: Wie repräsentiert sich die Kirche am wirkungsvollsten? Und diese Frage gilt auch für jede Gemeinde. Der normale Vorabend- oder Sonntagsgottesdienst sagt über das Gemeindeleben mehr aus als eine übervolle Festmesse, soziales Engagement beweist sich in der karitativen Alltagsarbeit eher als in gelegentlichem hohem Spendenaufkommen, ein freundlicher Zuspruch kann mehr bewirken als aller Goldglanz von Heiligenstatuen oder Reliquienschreinen. Was die Kirche reich macht, lässt sich, intensiver als bei der Besichtigung gesammelter Schätze, im lebendigen Glauben einer Gemeinde erfahren.
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Karl J. Kassing