Ehrenamtliche Kräfte und Kunden der Tafel sprechen über ihre Erfahrungen in der Rolle der Gebenden und der Nehmenden und darüber, ob sie ein "Oben und Unten" in ihren verschiedenen Positionen erleben.
Eine lange Tischreihe im Kapitelsaal neben der Kartäuserkirche: Klappkisten mit Obst und Gemüse, Brot und Salat, Joghurt und Milch, manchmal Fleisch und Fisch und, und, und … Hinter den Tischen stehen Frauen und Männer mit orangen Schürzen, die sie als Mitarbeitende ausweisen. Bevor die Verteilung beginnt, haben sie alles aufgebaut, was die Fahrer des Tafel-Autos gebracht haben, zusätzlich auch gespendete haltbare Lebensmittel. Es gibt keine Selbstbedienung, alles wird verteilt.
Seit November 2021 gibt es die Tafel-Ausgabestelle an der Kartäuserkirche – die evangelische Gemeinde und die katholische Pfarrei St. Severin engagieren sich hier gemeinsam. Ehrenamtliche Kräfte kommen aus beiden Gemeinden, aus dem Viertel und auch aus anderen Stadtteilen. Sie alle verbindet der Wunsch, bedürftige Menschen zu unterstützen und zugleich Lebensmittel vor der Vernichtung zu bewahren.
Jeden Montag um 15 Uhr öffnen sich die Türen für die aktuell mehr als 80 Menschen, die im Innenhof der Kartäuserkirche warten – und bei Regen oder Hitze Zuflucht in der Kirche finden können. Als Kunde registriert wird, wer Sozialhilfebezug nachweisen kann und im Zuständigkeitsbereich wohnt.
Maria B. gehört zu denen, die hinter den Tischen stehen und die Lebensmittel verteilen. Ein 'Oben und unten' empfindet sie nicht in ihrer Rolle, "Ich habe nicht das Gefühl, dass ich Almosen vergebe. Wenn die Menschen mir danken, ist es mir eher peinlich, weil ich ja nur etwas weitergebe." Sie versucht, trotz Maske mit einem Lächeln zu zeigen, dass sie das gern macht. Schwierig findet sie es, damit umzugehen, dass manche zu verteilende Güter knapp sind. "Was mache ich, wenn da 80 Personen sind, die zum Teil ja auch für Kinder oder/und Partner sorgen, und ich habe 30 Eier?" Gerecht zu verteilen ist dann kaum möglich. Da die Reihenfolge des Zugangs verlost wird, entsteht dadurch zumindest eine gewisse Form der Gerechtigkeit, meint sie.
Petra und Rudi B. sind seit langem in der evangelischen Kirchengemeinde engagiert und regelmäßig bei der Tafel im Einsatz. Sie spüren, dass manche der Kunden sich unbehaglich fühlen, und sie versuchen, ihnen die Peinlichkeit zu nehmen, indem sie Zeit geben für das Auswählen und allen mit Aufmerksamkeit und Respekt begegnen. "Es ist schwierig, das Geben eingrenzen zu müssen", finden beide und rufen sich ins Gedächtnis, dass die Lebensmittelausgabe als Ergänzung und Entlastung des Einkommens gedacht ist. Vor allem Rudi B. fühlt sich nicht gut, wenn er nicht allen so viel geben konnte wie gewünscht. Die Erzählung seiner Mutter von Hunger und Not in der Nachkriegszeit werden dann in ihm lebendig.
Günter L. hat 22 Jahre lang im Johanneshaus in der Annostraße gewohnt – fast zeitgleich mit der Eröffnung der Tafel-Ausgabestelle hat er eine eigene Wohnung bekommen im Severinsviertel "Ich habe viel ehrenamtlich gearbeitet für einen Kumpel, und als seine Eltern gestorben sind, da hat er die Wohnung bekommen und sie mir gegeben." Die Miete zahlt das Amt. Zuvor im Johanneshaus musste er sich nicht um das Essen kümmern. "Es ist wunderbar, dass ich jetzt eine richtige Wohnung habe und mich selbst versorgen kann. Da ist es gut, dass es die Tafel gibt. Ich habe so viel ehrenamtlich gearbeitet und mache das jetzt auch noch, da kann ich das sicher besser annehmen als manche andere." Alle, die verteilen, sind freundlich, findet er, "denen tut es auch leid, wenn manchmal zum Schluss nicht mehr viel da ist."
Johanna F: "Mich hat es anfangs körperlich mitgenommen, bei der Ausgabe anzustehen. Seit die Reihenfolge verlost wird, bin ich deutlich entspannter, geht es mir besser." Die Tafel in Anspruch zu nehmen, ist für sie eine neue Erfahrung. Es gab Zeiten, in den sie viel Geld verdiente und eine große Wohnung bewohnte. Nun ist alles sehr anders, "ich bin froh, durch so eine Einrichtung etwas aufgefangen zu sein." Mit einer anderen Kundin der Tafel hat sie sich ein wenig angefreundet. Beide Frauen freuen sich über die Entlastung ihres Budgets und sind in der Lage, sorgsam und zugleich kreativ mit den Lebensmitteln umzugehen, die sie bekommen. Spannungen, die sie teilweise unter den Wartenden erlebt, versucht sie, nicht nahe an sich heranzulassen. Die Verteilenden erlebt sie unterschiedlich in der Intensität des Kontaktes zu ihr. "Die Masken machen es nicht einfacher, sind aber natürlich wichtig."
Ingrid Rasch