Stefanie Manderscheid war besonders neugierig auf Familie E. und hat sich sehr gefreut, sie alle kennen zu lernen.
Sara und Alex haben fünf Kinder: Oscar ist sechs und die Vierlinge Frieda, Lotta, Carla und Theo sind vier Jahre alt. Wir möchten übers Teilen sprechen. Ich besuche die Familie im Hof hinter ihrem Haus. Als ich ankomme, essen gerade alle ein Eis. Es herrscht eine sehr muntere, gelöste Atmosphäre. Oscar, der Älteste, kuschelt sich mit seinem Eis auf den Schoß seiner Mutter, Frieda und Theo sitzen an einem Kindertisch daneben und Lotta und Carla wuseln um ihren Vater herum.
Auf dem Weg zu ihnen war mir durch den Kopf gegangen, wie unkompliziert es gewesen ist, dieses Treffen zu vereinbaren. Ich hatte eine Mail geschrieben und Sara hat sofort mit einem Terminvorschlag geantwortet. Ich hatte an einige meiner allein lebenden Bekannten gedacht, bei denen das oft schwieriger ist. Alle sind ständig überlastet und keiner hat Zeit. Als ich Sara von meinen Gedanken erzähle, schmunzelt sie und erzählt: "Es ist natürlich so, dass wir Termine, wo auch die Kinder dabei sein können, einfach machen können. Hättest Du alleine mit uns reden wollen, wäre das auch bei uns schwieriger gewesen."
Routiniert und gelassen teilen die Eltern ihre Aufmerksamkeit zwischen den Kindern und mir. Während Alex seiner Tochter dabei hilft, ihr Eis weiter aus der Tüte zu schieben, erzählt er, heute sei "Frieda-Tag". Jedes Kind darf an einem Wochentag bestimmen. Es darf morgens das beliebte rosa Schälchen fürs Frühstück auswählen, auf den Aufzugknopf drücken, die Snacks im Lastenrad verteilen. Oscar erklärt mir, dass man am Bestimmertag auch immer mit dem Dinolöffel essen darf, wenn man will. Und man kann sich abends die erste "Gute-Nacht-Geschichte" aussuchen und sie auf Mamas oder Papas Schoß anhören.
Inzwischen haben alle ihr Eis aufgegessen. Während Lotta, Frieda, Theo und Carla Fahrrad fahren, Ball spielen oder einen Kuschelaffen suchen, bleibt Oscar noch bei uns sitzen und ich kann ihn fragen, was er zum Thema Teilen meint. "Teilen ist manchmal schwer", beginnt er, "aber auch sehr schön, weil der andere dann froh ist und vielleicht auch etwas abgibt," fährt er fort. "Und vielleicht kann man so auch neue Freunde finden."
Als die Kinder mit ihrem Vater ins Haus gehen, um Obst und Getränke zu holen, wird es still. Ich frage Sara, wie sie es schaffen, die Aufmerksamkeit für die Kinder gerecht zu verteilen. "Es ist so, dass man im Familienverband auch viel reagiert. Also das Thema Gerechtigkeit ist groß bei den Kindern, sie fordern das ein, machen uns klar, wie wichtig das ist. Von daher wird das genaue Teilen, darauf achten, dass es gerecht zugeht, das wird zum Alltag. Wenn ich also eine Einzelzeit mit einem meiner Kinder habe, dann muß es auch einen Raum für die anderen geben. Es gibt auch mal Ausnahmen, aber das ist selten. Ich möchte ja jedem gleich viel Liebe geben. Aber man reagiert eher auf die Bedürfnisse der Kinder, als das es bewusste Entscheidungen sind."
Inzwischen sind die Kinder mit einer Mango und einer Flasche Rhabarberschorle in den Hof zurückgekommen. Es ist anrührend zu sehen, wie selbstverständlich alle sowohl Getränk als auch Mango teilen. Lotta reicht die Flasche an ihre Schwester weiter, bevor Oscar sich einen Schluck genehmigt. Den Rest kriegt die Mama.
Sara und Alex haben ihr Leben mit den Kindern gut organisiert. Beide Eltern haben einmal in der Woche einen Vormittag für sich, außerdem an einem festen Abend in der Woche einen Babysitter, damit sie etwas gemeinsame Zeit ohne Kinder verbringen können. Sie sind beide berufstätig, jeder hat eine 50-Prozent-Stelle.
Trotz alledem sei der Alltag oft eine große Herausforderung, erklärt Sara: "Das Teilen ist nicht das Problem, aber manchmal fehlt einfach die Rückzugsmöglichkeit, ich träume davon, einmal Zeit allein zu verbringen. Das Teilen geht wie von selbst." Auf meine Frage, was sie sich denn für sich selbst wünsche, zögert sie lange, bevor sie sagt: "Manchmal träume ich von einem Zimmer, das in unserer Wohnung ist, in das aber nur ich rein darf, wo niemand hinter mir herkommt, ein geheimes Zimmer, ein Rückzugsraum nur für mich allein."
Bei Lotta, Frieda, Theo und Carla ist das noch kein großes Thema. Am liebsten sind sie alle zusammen. Seit kurzem spielt Frieda ohne ihre Geschwister in einer Fußballmannschaft. "Das fällt ihr nicht leicht", erzählt Sara, "die anderen spielen in der Zeit am Spielfeldrand. Die Vierlinge fangen gerade an, sich für andere Kinder zu interessieren, bei Oscar ist das anders, der trifft sich auch gern mit Freunden, übernachtet woanders und freut sich, wenn er mal was anderes vorhat. Deshalb haben wir Eltern auch häufig die Aufteilung: Einer kümmert sich um Oscar, der andere um die Vierlinge".
Während Sara und ich reden, kümmert sich Alex jetzt um alle fünf Kinder.
Ich bin sehr beeindruckt von der Sicherheit, die beide Eltern ausstrahlen und wie gut sie als Team wirken. Sara erzählt: "Wir haben von Anfang an als Paar die Verantwortung für die Kinder geteilt, aber auch mit vielen anderen Menschen. Mit meinen Eltern, mit meinen Schwestern, mit Freunden. Jedes Kind hat außerdem zwei Paten, die wir sehr bewusst ausgesucht haben und die sich zu unserem Glück viel einbringen. Wir haben sehr viel Solidarität erlebt, und privat erleben wir das immer noch. Im öffentlichen Bereich ist das schwieriger geworden. Anfangs haben wir auch dort sehr viel Unterstützung bekommen. Aber wir merken auch, dass das amtliche System nicht auf Familien mit vielen kleinen Kindern ausgerichtet ist. Was man gerade unbedingt braucht, das ist da, aber eben auch nicht mehr. Es ist gerade so am Limit".
Das Fazit unseres Gesprächs fasst Oscar so zusammen: "Teilen ist schön, es ist auch schön, wenn andere was abgeben. Aber es ist auch schön, etwas ganz alleine zu haben. Zum Beispiel eine Alleine-Zeit mit Mama und Papa."
Sara bringt mich durch die Hofeinfahrt nach draußen. Sie lacht und sagt, dass ihr außer dem Geheimzimmer doch noch ein Wunsch eingefallen sei: "Ein großes Haus oder Grundstück für uns und unsere drei befreundeten Familien, mit denen wir den Traum teilen, gemeinschaftlich zu wohnen und zu leben."