Teilen selbstverständlich?

Fast im Nebenbei erfahre ich in einem "Tür- und Angel-Gespräch", dass meine Nachbarin (76) gemeinsam mit drei Freundinnen seit Jahren eine fünfte Freundin monatlich mit insgesamt  200,– Euro unterstützt. Diese monatlichen 50,– Euro für jede der Seniorinnen findet sie nicht besonders erwähnenswert, das Teilen ist selbstverständlich, meint sie – sowohl für sie als auch für die anderen Frauen. Man kennt sich seit vielen Jahren aufgrund gemeinsamer Fortbildungen und anderer Interessen. Niemand ist besonders vermögend, aber alle leben materiell gesichert.

Eher durch Zufall hat sich herausgestellt, dass die Empfängerin des Geldes in eine finanzielle Notlage geraten ist. Nach dem frühen Tod ihres Mannes zog sie nach Berlin zu einer Freundin, auch diese starb, und sie musste mit kleiner Rente erneut auf Wohnungssuche gehen. "Sie schäumte vor Glück" als sie vom Vorhaben der vier Frauen hörte. Sie konnte und kann die finanzielle Unterstützung gut annehmen. Auf ihre Weise versucht sie, sich zu bedanken, indem sie zum Beispiel allen einen besonderen Adventskalender bastelt.

Die Nachbarin erinnert sich an ihre Kinderzeit: "Ich musste keinen Hunger leiden, aber es ging sehr bescheiden zu, und meine Mutter arbeitete hart, um uns beide durchzubringen." Das hat sie geprägt und sensibel gemacht nicht nur für die vielen Notlagen, die medial präsent sind, sondern auch für die verborgenen. 

Ingrid Rasch

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