Toleranz – Tugend zwischenmenschlichen Verhaltens?

Die Toleranz ist nach der evangelischen Theologin Dorothee Sölle in heutiger Zeit zu einem selbstständigen Wert geworden, in dem weder Auseinandersetzung noch ein erhofftes Übereinkommen eine Rolle spielt. Toleranz hat nach ihren Worten den Markt als Vorbild übernommen, nach dem alles, was möglich ist, auch zu akzeptieren ist.

In der ursprünglichen lateinischen Bedeutung bezeichnet Toleranz nicht die Duldsamkeit gegenüber Andersdenkenden. Sie charakterisierte ein Ertragen negativer Erfahrungen von Unrecht, Gewalt, Schmerzen und Gefahren.

Erst die Kirchenväter und mittelalterliche Theologen haben aus der Toleranz eine Tugend zwischenmenschlichen Verhaltens gemacht. Sie beriefen sich dabei auf das Gleichnis Jesu, in dem Weizen und Unkraut erst einmal zusammen weiterwachsen dürfen (Mt 13, 24-30). Dieses Verbot des Ausreißens macht Weizen und Unkraut aber nicht gleich-wertig.

Toleranz macht nur dann Sinn, wenn es sich um die Duldung eines Verhaltens oder eines Glaubens handelt, das oder den man selbst aus guten Gründen nicht für richtig erachtet. Toleranz ist aber nicht zugleich Billigung oder Gutheißung dieses Verhaltens oder Glaubens. Eine totale Toleranz gegenüber allem und jedem, wie heute oft zu beobachten, macht Toleranz sinn-los. Wo eigene Werte und Wahrheiten nicht mehr verkündet und verteidigt werden, da hat Intoleranz ein ganz leichtes Spiel.

Wenn der heute häufig verwendete Begriff der "Parallelkultur" als Zeichen von Toleranz gilt, dann verschweigt er beschönigend die damit verbundene Ablehnung der umgebenden Kultur. Toleranz kann nicht gelten etwa für die Installierung von Ghettos mit einer eigenen Clan-Justiz, Verheiratung von Mädchen, Unterdrückung von Frauen …Noch kritischer ist die Duldung einer "Gegen-kultur" zu sehen, die – wie in Hamburg und Berlin geschehen – in Stadtteilen ein Kalifat errichten will. 

Menschen aus anderen Kulturkreisen haben selbstverständlich Anspruch auf Achtung und Unterstützung, aber dies im Rahmen unserer grundgesetzlichen Werte – etwa der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Religionsfreiheit, der Kinderrechte.

Toleranz schließt Kritik nicht aus. Ohne Auseinandersetzung (die selbstverständlich nicht abwertend oder verletzend sein darf) wird Intoleranz gestärkt. Wichtig und notwendig ist es, Stellung zu beziehen, unsere Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen und unsere Werte täglich werbend zu leben. Alles andere können wir nur Gott überlassen.      

Dr. Barthel Schröder, Diakon im Ruhestand

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