Seit dem großen Zustrom von Flüchtlingen habe ich viele von ihnen kennen- und schätzengelernt.
Seit einigen Jahren engagiere ich mich im Montagscafé* in der Kartause (*Montagscafé: geöffnet von 15.30 Uhr bis 18.00 Uhr). Dort helfe ich vor allem, Formulare auszufüllen, Anträge zu stellen, offizielle Briefe zu verstehen und zu beantworten.
Wenn ich Familien zuhause aufsuche, ziehe ich mittlerweile automatisch an der Tür die Schuhe aus. Einen in der Regel blitzsauberen und aufgeräumten Raum in der ansonsten oft äußerst beengten Wohnsituation mag man nicht mit Straßenschuhen betreten. Wie viel Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit habe ich schon erlebt. Wie viel Bemühen, sich an unsere Lebensgewohnheiten anzupassen.
Zugleich haben mich viele Begegnungen Demut gelehrt. Über ihre Fluchterlebnisse sprechen die Wenigsten, das lässt Schlimmes ahnen. Im Montagscafé sprechen mich oft Frauen an, viele mit kleinen Kindern, etliche offenkundig mit geringer Bildung. Da geht es auch um Kindergeld, Unterhaltszahlungen, Vaterschaftsanerkennung, Wohnungssuche, Wohngeld. Vieles habe ich selbst erst recherchieren müssen. Manche begleite ich zu ihren Terminen bei Ämtern und mache dann die Erfahrung, wie unterschiedlich man ihnen dort begegnet. Ich habe Verständnis für die Überlastung von Sachbearbeiter*innen, die tagtäglich mit Wünschen und Erwartungen von Menschen konfrontiert sind, die auf absehbare Zeit nicht von eigener Erwerbsarbeit leben können. Meine Anwesenheit verhindert vermutlich manchmal allzu schroffe Behandlung. Den Ansprüchen an Unterstützung stehen Ansprüche an Integrationsanstrengung gegenüber, Verständnis und Toleranz sind dabei von beiden Seiten gefordert. Einer jungen Mutter ohne eigene Schulbildung kann man zunächst nur dadurch helfen, dass man ihren Kindern den Weg in unser Kita- und Schulsystem ebnet. Und zugleich um Verständnis dafür bittet, dass sie die erforderliche Bürokratie nicht online erledigen kann. Bei anderen tun sich plötzlich ganz neue Wege in eine Schul- oder Ausbildung auf, und es entsteht ein Team von Unterstützern, erst mit dem Zuständigen im Jobcenter, später mit Lehrern und Ausbildern. Trotz vielfältiger Vorschriften und bürokratischer Hürden gibt es doch viele Ermessensfreiräume – bei etwas Bereitschaft zu Toleranz auf beiden Seiten.
Das Ergebnis ist ein Zusammenleben mit vielen beglückenden Momenten. Mich haben die Menschen, denen ich begegnet bin, bereichert und toleranter gemacht.
Ingrid König