Toleranz zwischen den Kulturen

Wer geflüchtete Menschen begleitet und unterstützt, macht oft unerwartete Erfahrungen, in Sachen Toleranz nicht selten herausfordernd – für beide "Seiten".

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Sieben Stühle stehen aufeinandergestapelt in der Ecke des Raumes, sonst kein Möbelstück – mein Mann und ich sind eingeladen zu einer syrischen Familie. Die Mutter ist mit ihren sechs Kindern nach der Ermordung ihres Mannes und Bruders geflohen, sie wohnen in unserer Nachbarschaft in einer großen Flüchtlingsunterkunft. In Kontakt sind wir miteinander gekommen, weil ich ein Spielangebot für die kleinen Kinder gemacht habe, die in der Unterkunft leben. Wir werden herzlich begrüßt (die zur Begrüßung ausgestreckte Hand meines Mannes bleibt unberührt, ich werde umarmt) und eingeladen, uns auf den Boden zu setzen und an einem üppigen Essen teilzunehmen, zu dem es kein Besteck gibt. Alle Anwesenden nehmen geschickt das Essen mit dünnem Fladenbrot auf. Es war offenbar deutlich, wie schwer uns diese ungewohnte Form fiel, und beim nächsten Besuch gab es für uns Stuhl, Tisch und Löffel – große Freude und Erleichterung. 

Ich habe in den letzten Jahren in der Begleitung und Unterstützung dieser Familie viel gelernt über sehr andere Formen der Lebensgestaltung und der Gestaltung familiärer Beziehungen. Ich habe verstanden, dass in diesem schwierigen Prozess des Ankommens in einer fremden Umgebung und ebenso fremden Kultur, nach traumatischen Erfahrungen im Heimatland und bei der Flucht, das Wohnen und Essen in heimatlicher Form Stütze und Halt gibt. 

Es sind vielfältige Erfahrungen, die mich bereichert und meinen Horizont deutlich erweitert haben. So durften wir zum Beispiel an den Hochzeiten der beiden ältesten Töchter teilnehmen – es waren für uns fremde Zeremonien und Feierformen. Auch dabei hat es für uns "Sonderregelungen" gegeben, wurden unsere Bedürfnisse und Möglichkeiten respektiert. 

So erleben wir Toleranz von beiden Seiten.

Barbara

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Ich begleite einen jungen Mann aus Afghanistan, der 2015 als unbeglei-teter Minderjähriger hier ankam. Wir unterscheiden uns in Alter, Geschlecht, Religion, Bildung, haben aber faszinierenderweise oft im selben Moment den selben Gedanken. Manchmal bringt er mich mit ganz überraschenden Äußerungen zum Nachdenken und reflektieren meiner selbst. 

Als Erstausstattung habe ich für Ansor (Name geändert) nicht nur Möbel, sondern auch kleine Töpfe und Teller im Freundeskreis organisiert. Die kleinen Töpfe verschenkte er und entschuldigte sich: "Kochen kann man doch nur in großen Töpfen und dann gemeinsam mit anderen essen."

Als er zum ersten Mal original afghanisch für mich gekocht hat und wir auf dem Boden sitzen, vermisse ich meinen Teller. Das verwundert ihn: "Es schmeckt doch viel besser, wenn man gemeinsam von einem Teller isst", findet er. Das finde ich nicht, und er respektiert es seitdem, dass jeder von seinem eigenen Teller isst. Es ist trotzdem lecker.

Mittlerweile besucht er mich häufig und ihm fällt auf, dass ich ein neues Frühstücksbrettchen habe. "Aber du hast doch schon so viele Brettchen, warum hast Du das gekauft? Du brauchst doch niemals so viele!" Ja, ein berechtigter Einwand.

Monika

Seit dem großen Zustrom von Flüchtlingen habe ich viele von ihnen kennen- und schätzengelernt.  

Seit einigen Jahren engagiere ich mich im Montagscafé* in der Kartause (*Montagscafé: geöffnet von 15.30 Uhr bis 18.00 Uhr). Dort helfe ich vor allem, Formulare auszufüllen, Anträge zu stellen, offizielle Briefe zu verstehen und zu beantworten. 

Wenn ich Familien zuhause aufsuche, ziehe ich mittlerweile automatisch an der Tür die Schuhe aus. Einen in der Regel blitzsauberen und aufgeräumten Raum in der ansonsten oft äußerst beengten Wohnsituation mag man nicht mit Straßenschuhen betreten. Wie viel Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit habe ich schon erlebt. Wie viel Bemühen, sich an unsere Lebensgewohnheiten anzupassen.

Zugleich haben mich viele Begegnungen Demut gelehrt. Über ihre Fluchterlebnisse sprechen die Wenigsten, das lässt Schlimmes ahnen. Im Montagscafé sprechen mich oft Frauen an, viele mit kleinen Kindern, etliche offenkundig mit geringer Bildung. Da geht es auch um Kindergeld, Unterhaltszahlungen, Vaterschaftsanerkennung, Wohnungssuche, Wohngeld. Vieles habe ich selbst erst recherchieren müssen. Manche begleite ich zu ihren Terminen bei Ämtern und mache dann die Erfahrung, wie unterschiedlich man ihnen dort begegnet. Ich habe Verständnis für die Überlastung von Sachbearbeiter*innen, die tagtäglich mit Wünschen und Erwartungen von Menschen konfrontiert sind, die auf absehbare Zeit nicht von eigener Erwerbsarbeit leben können. Meine Anwesenheit verhindert vermutlich manchmal allzu schroffe Behandlung. Den Ansprüchen an Unterstützung stehen Ansprüche an Integrationsanstrengung gegenüber, Verständnis und Toleranz sind dabei von beiden Seiten gefordert. Einer jungen Mutter ohne eigene Schulbildung kann man zunächst nur dadurch helfen, dass man ihren Kindern den Weg in unser Kita- und Schulsystem ebnet. Und zugleich um Verständnis dafür bittet, dass sie die erforderliche Bürokratie nicht online erledigen kann. Bei anderen tun sich plötzlich ganz neue Wege in eine Schul- oder Ausbildung auf, und es entsteht ein Team von Unterstützern, erst mit dem Zuständigen im Jobcenter, später mit Lehrern und Ausbildern. Trotz vielfältiger Vorschriften und bürokratischer Hürden gibt es doch viele Ermessensfreiräume – bei etwas Bereitschaft zu Toleranz auf beiden Seiten. 

Das Ergebnis ist ein Zusammenleben mit vielen beglückenden Momenten. Mich haben die Menschen, denen ich begegnet bin, bereichert und toleranter gemacht.

Ingrid König

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Toleranz ist ein wertvolles Gut in unserer bunten Gesellschaft. Gerade wenn es um geflüchtete Menschen geht, sollte unser oberstes Gebot sein, niemanden zu verurteilen. Jeder von uns hat seine eigene Geschichte, seine eigenen Träume und Ängste. Warum sollten wir jemanden verurteilen, nur weil er anders ist oder aus einer anderen Kultur stammt?

In unserer demokratischen Gesellschaft haben wir die Möglichkeit, aktiv zu werden. Indem wir uns zum Beispiel ehrenamtlich engagieren, können wir nicht nur geflüchteten Menschen helfen, sondern auch selbst lernen und wachsen. 
Ein Beispiel dafür ist unser Projekt, die Fahrrad AG, in der wir gemeinsam Fahrräder reparieren. Das klingt vielleicht simpel, aber es ist eine wunderbare Gelegenheit, Brücken zu bauen. Während wir schrauben, schaffen wir nicht nur praktische Hilfe, sondern auch soziale Kontakte und Freundschaften. Dies fördert das Verständnis und die Akzeptanz untereinander.

Es ist auch wichtig, dass wir über die Herausforderungen sprechen, mit denen geflüchtete Menschen konfrontiert sind. Oft kämpfen sie nicht nur gegen die Erinnerungen an Flucht und Verlust, sondern auch gegen Diskriminierung und Isolation. Hier sollten wir als Gesellschaft zusammenstehen, um ein Umfeld zu schaffen, in dem sich jeder willkommen fühlt und seine Stimme gehört wird.

Letztendlich hängt unser aller Frieden von der Fähigkeit ab, tolerant zu sein und die Vielfalt zu schätzen, die uns umgibt. Denn in der Vielfalt liegt unsere Stärke!

Walter Harings

 

Derzeit arbeiten wir dienstags von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr und donnerstags von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr im Innenhof der Bonner Straße 478, 50968 Köln (Unterkunft des DRK).