Glaubens-Traditionen hinterfragt

Was bewegt Seniorinnen und Senioren, schon seit mehr als fünf Jahren teilzunehmen am regelmäßigen "Gespräch über Gott und die Welt"? Die Pfarrbriefredaktion fragte nach bei Richard D.

Pfarrbriefredaktion: Herr D., Sie gehören mit Ihrer Ehefrau zu den treusten Teilnehmern am "Glaubensgespräch für Menschen über 60". Was treibt Sie dazu an?

Richard D.: Viele Erzählungen in den Evangelien sind für den Menschen von heute so ohne weiteres nicht mehr nach- vollziehbar. Daher erlischt sehr schnell das Interesse an der Bibel. Ich aber möchte das Interesse meiner Kinder und Enkel bewahren und muss daher Rede und Antwort stehen können. Da in den Predigten sehr selten z.B. auf die Wundergeschichten eingegangen wird, suche ich die Informationen, die ich brauche, in diesem Gesprächskreis. Und da ich häufig, wenn auch nicht immer, befriedigende Antworten auf meine Fragen bekomme, gehe ich regelmäßig dort hin.

Hatten Sie Erfolg bei Ihren Kindern und Enkeln?

Ich sehe meinen Erfolg darin, dass ich ein Interesse an den biblischen Texten wach halte. Bevor wir Heiligabend zum Essen gerufen wurden, haben meine Enkel und ich uns über das Leben Jesu und seine Wunder unterhalten. Vielleicht lag es an der Vorfreude auf unser Essen, dass wir zur Erzählung der Speisung der 4.000 Männer mit sieben Broten (Mt 15, 29-39) kamen. Für meine Enkelin Sophia, Studentin, spiegelt sich in diesem Bericht die Erfahrung von vielen gemeinsamen Zusammenkünften und Essen mit Jesus wieder. Und wenn die Bibelforscher sagen, die Erzählung sei eine bildhafte Darstellung für die Eucharistie, so liegt die Interpretation meiner Enkelin durchaus auf dieser Linie. Wir kamen dann zur Erzählung der Auferweckung des Lazarus, der ja vier Tage im Grabe tot lag. Da war ich froh, dass meine Frau uns zum Essen rief.

Richard D. begleitet regelmäßig an der Orgel die Gottesdienste in der Krankenhauskirche. (c) SilviaBins

Welche behandelten Themen fanden Ihr besonderes Interesse?

Da war zunächst die Veranstaltung zum Thema "Wundererzählungen wirklich und wahrhaftig". Man kann es sich einfach machen und die Wunder als Beweise für die übermenschlichen Fähigkeiten Jesu sehen, die historisch nicht hinterfragbar sind. Dann ist jede Diskussion beendet. Man kann in ihnen Relikte einer mythologischen Welt sehen, die heute bedeutungslos sind. Auch hier endet jedes Gespräch. Man kann sich aber auch fragen, ob manche Heilungen nicht doch Historisches wiedergeben, denn Heiler kennt man ja auch heute noch. Andere "Wunder" könnten Bildgeschichten sein, die etwas Bedeutsames über Jesus aussagen. Wegen der Häufigkeit der Wundererzählungen in den Evangelien kann man nicht einfach auf sie verzichten, ohne an der Bedeutung Jesu Abstriche zu machen. Und dies alles haben wir ausführlich diskutiert.
Eine andere Veranstaltung, an die ich mich gerne erinnere, beschäftigte sich mit "der heiligen katholischen Kirche". Wenn man an all das "Unheilige" denkt, das von ihr im Laufe der Geschichte ausgegangen ist, dann muss man sich mit dieser Aussage der Heiligkeit der Kirche schon kritisch auseinandersetzen.
Sie sprachen davon, dass Sie nicht immer sofort eine befriedigende Antwort gefunden haben.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Ich als früheres Mitglied der Pfarrbrief-Redaktion habe viele Gespräche mit unterschiedlichen Pfarrern zum Thema "Auferstehung Jesu" geführt. Es hat lange gedauert, bis ich die Antwort bekam, dass die Auferstehung nicht irdisch-biologisch zu verstehen sei. Dieses Nein war ein erlösendes Wort. Dies ist typisch für die letzten 50, 60 Jahre in unserer Kirche. Ergebnisse der Bibelwissenschaftler wurde in den Predigten nicht weitergegeben. Die Gläubigen wurden aus Angst, den Glauben zu gefährden, bewusst "dumm" gehalten. Dieses Verhalten hat eben dazu geführt, dass viele Menschen, besonders die jungen, das Interesse an der Bibel und am Glauben verloren haben.

Wie erleben Sie die Gesprächsrunden?

Man kann bei den Teilnehmern meistens drei Gruppen unterscheiden. Einige hören einfach zu. Einige nehmen die Bibeltexte "wörtlich". Andere haben das Bedürfnis, die Texte zu hinterfragen. Zur letzteren Gruppe gehöre ich. Aber immer sind die sich untereinander ergebenden Gespräche interessant und hilfreich. Für alle, die dies lesen: "Für Sie ist noch ein Plätzchen frei" (Jürgen Becker).

Glaubensgesprächskreis für Menschen ab 60

Seit Ende 2011 treffen sich alle zwei Monate etwa 20 Frauen und Männer in der Katholischen Öffentlichen Bücherei St. Severin. Mehr als 30 Termine haben bereits stattgefunden. Das Interesse ist ungebrochen, die Themen gehen nicht aus. Die Teilnahme an der 90-minütigen Veranstaltung (Beginn jeweils 18.30 Uhr) ist ohne Anmeldung möglich. Die Terminankündigungen finden Sie im Pfarrbrief, im wöchentlichen Infoblatt, in den Schaukästen und auf unserer Homepage.