Gudrun B. hat lange in der Telefonseelsorge gearbeitet; seit dem Ende der beruflichen Arbeit engagiert sie sich in der Ausbildung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und in deren Supervision. Ingrid Rasch kennt sie u.a. aus der früheren beruflichen Zusammenarbeit und fragt nach ihren Erfahrungen mit Trost in den unterschiedlichen Rollen.
Wer Telefonseelsorge hört, denkt vermutlich sofort an Konfrontation mit sehr trostlosen Lebenssituationen, ist das so, und was sind die Inhalte, um die es geht?
Da ist vor allem viel Einsamkeit – es sind Menschen, denen Kontakte in ihrem Alltagsleben fehlen, die kein oder ein sehr wenig tragfähiges soziales Netz haben, Menschen, die sich abgelehnt und ausgegrenzt fühlen. Und es geht um schwere Schicksalsschläge, um Tod lieber Angehöriger oder Freunde, um Kontaktabbrüche zum Beispiel zwischen Kindern und Eltern, Verlust des Arbeitsplatzes und des damit verbundenen Gefühls der Wertlosigkeit, Erfahrung sexueller Gewalt, schwerwiegende Erkrankung, Auseinandersetzung mit persönlicher Schuld... Menschen erleben sich in einer ausweglosen Lage und denken nicht selten an Suizid.
In jüngster Zeit sprechen Anruferinnen und Anrufer vermehrt davon, dass sie den früher erlebten Trost und Halt im Glauben vermissen, ebenso die Stärkung durch den Besuch von Gottesdiensten. Kirche insgesamt hat bei diesen Menschen an Glaubwürdigkeit verloren.
Das sind sehr schwerwiegende Belastungen – wie kann da überhaupt Trost gespendet werden?
Der Trost entsteht zunächst und in erster Linie dadurch, dass ein Gespräch möglich ist; die Anrufenden erfahren eine ungeteilte Aufmerksamkeit, Offenheit ohne Beurteilung oder Wertung. Das allein ist für viele Menschen eine neue, ungewohnte Erfahrung. Sie birgt die Chance, im Gespräch eigene Kräfte zur Problembewältigung zu entdecken und zu nutzen. Darin liegt eine starke tröstende Kraft. Eine wichtige Rolle spielt auch die Anonymität.
Eine offensichtlich sehr anspruchsvolle Aufgabe für die Aktiven in der Telefonseelsorge – wie gestaltet sich die Auswahl und die Ausbildung?
Es werden sehr ausführliche Auswahlgespräche geführt, in denen es um persönliche Motivation, um die eigene Stabilität und "Erdung" geht, um den persönlichen Rückhalt im sozialen Umfeld. Die Ausbildung der ehrenamtlichen Kräfte erstreckt sich über ein ganzes Jahr. Selbsterfahrung hat einen wichtigen Platz dabei, und natürlich gehört dazu, sich in Hospitationen langsam in die neue Rolle hineinzufinden.
Und wie erfahren die tröstenden Menschen selbst Trost in ihrer wirklich nicht einfachen Aufgabe?
Zunächst einmal ist es tröstlich zu erfahren, dass man trösten kann. Aber es gibt auch ganz klar die Gefahr, sich selbst zu vergessen in der tröstenden Rolle. Sowohl in der Ausbildung als auch in der Supervision ist diese Gefahr im Blick. So empfehlen wir, eine Viertelstunde vor Beginn des Dienstes am Telefon schon da zu sein, in Ruhe am Ort und bei sich anzukommen. Jede und jeder findet heraus, was es braucht, um eine wohltuende Atmosphäre zu schaffen – das kann eine schöne Blume sein, ein Tee, eine Süßigkeit oder auch alles zusammen...Ein kurzer Austausch zwischen der ankommenden Person und der, die ihren Dienst beendet, hilft dabei, sich gut zu verabschieden und gut anzukommen. Die Aufmerksamkeit für das eigene Wohlbefinden hat eine tröstende Wirkung. Wir ermutigen in Ausbildung und Supervision dazu herauszufinden, was es dafür braucht.
Ist es richtig, dass diese Regeln oder Empfehlungen zum Konzept der Telefonseelsorge-Arbeit gehören?
Das ist so, und die hauptamtlich Verantwortlichen sorgen dafür, dass eine gute Atmosphäre in den Räumen gegeben ist, sorgen dafür, dass man sich in der Küche ein Butterbrot, einen Tee oder Kaffee machen kann und ermutigen dazu, das auch anzunehmen – was nicht allen Ehrenamtlern spontan leicht fällt. Integraler Bestandteil der Arbeit ist eine regelmäßig stattfindende Supervision. Die hat ein hohes Trostpotential. Wichtig ist zudem das sogenannte Bereitschaftstelefon - man kann nach einem schweren und belastenden Gespräch eine erfahrene Beraterperson anrufen. Es ist tröstlich zu wissen, dass es diese Möglichkeit gibt, auch wenn sie im Einzelfall vielleicht nicht genutzt wird.
Und worin liegt der Trost für die Ausbilderin und Supervisorin?
Im Rückhalt in der Familie, in vielfältigen intensiven Freundschaftsbeziehungen, in der bewussten Wahrnehmung der Natur und in der Stille, die ich für mich selbst immer wieder versuche zu schaffen.