Kardinal Carlo Maria Martini, Jesuit, über 20 Jahre Erzbischof von Mailand, Bibelwissenschaftler und begnadeter Prediger, musste aufgrund seiner Parkinsonerkrankung sein Amt 2002 aufgeben. Martini, der immer wieder Reformen in der Kirche anmahnte und daher bei der Kurie in Rom unbeliebt war, verbrachte seine letzten Jahre in einem Altenheim. Begleitet und umsorgt wurde er dort von Damiano Modena, der in seinem Buch Zeugnis ablegt vom Leben und Sterben des Kardinals.
Mit großer Sensibilität beschreibt er den Verlauf der Krankheit: "In der Zwischenzeit sind dem Tod erste kleine Raten zu entrichten ... Jede Woche, jeden Monat hat er, um im Bild zu bleiben, der Krankheit einen Scheck über einen kleinen Betrag ausgestellt, ganz bewusst und nie leichten Herzens." Am härtesten trifft ihn als Mann des Wortes, der er immer war, der Abschied von der eigenen Stimme: "Welchen Sinn soll das haben, fragt man sich und fragt man Gott".
Martini spürt, dass der Tod näher kommt: "Er weint nicht über sich; er weint über seine übertriebene Vorsicht in der Vergangenheit." Er leidet darunter, "dass er Zeit vertan und nicht voll und ganz Anteil genommen hat an den Fragen, Nöten und Hoffnungen der Menschen".
Er hinterfragt seinen Glauben immer wieder neu: "Warum ist ein Geschehen von solcher Bedeutung wie die Auferstehung nur einigen wenigen als besondere Erfahrung zuteil geworden, während Jesu Tod ein öffentliches Ereignis war?". Bei einer seiner letzten Eucharistiefeiern fallen die Worte: "Ich möchte euch sagen: Auch wenn auf der anderen Seite nichts sein sollte, bin ich glücklich, dass ich dieses Leben gelebt habe und mit euch teilen konnte". Die quälenden Gedanken, dass alles umsonst gewesen sein könnte, lassen ihn bis zum Ende nicht los.
Im Angesicht des Todes vergleicht er den Glauben mit einem Wasserfall: "Was für ein Mut, sich so ins Nichts zu stürzen! Glauben haben bedeutet, sich ins Nichts fallen zu lassen. Wenn sich das Wasser furchtlos und voller Glauben hinabstürzt, dann empfängt es im Hinunterrauschen Leben und Sauerstoff."
Über dem Grab Martinis befindet sich das Kreuz des heiligen Borromäus, der die Worte schrieb: "Deine Liebe hat so von meinem Herzen Besitz ergriffen, dass ich – auch wenn es keinen Himmel gäbe – dich dennoch lieben würde".
Als Leitwort wählte Martini bei seiner Weihe zum Bischof: "das Widrige lieben". Er hat es bis zum Schluss radikal gelebt.
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Barthel Schröder, Diakon