Wahrheit kann Vertrauen schaffen

IMG_9336 (c) SilbiaBins

In vielen Ländern werden seit 2009 Missbrauchsfälle in unserer Kirche bekannt. Bischöfe, Priester, Ordensleute und Erzieher haben Kinder und Jugendliche über Jahre hinweg sexuell missbraucht. Laut einer Studie der Deutschen Bischofskonferenz waren in Deutschland zwischen 1946 und 2014 mindestens 3.677 Minderjährige die Opfer von 1.670 Klerikern. Die Zahl der Betroffenen kann durchaus noch höher liegen, da sich nicht alle Missbrauchten melden und nicht alle Vorfälle in den Personalakten dokumentiert wurden. Dass die Diskussionen über diese Verbrechen in der Öffentlichkeit immer noch nicht beendet sind, liegt nicht alleine an der Schwere der Schuld, sondern ist auch das Ergebnis eines völlig falschen Vorgehens der verantwortlichen Stellen.

Zunächst wurden die Verbrechen bagatellisiert und der sexuelle Missbrauch als ein generelles Phänomen der Gesellschaft dargestellt. War nicht absehbar, dass an kirchliche Mitarbeiter besondere moralische Anforderungen gestellt werden? Auch Diebstahl ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, doch werden mit diesem Argument stehlende Kleriker nicht zur Rechenschaft gezogen? Dass es sich zudem nicht um wenige Einzelfälle handelte, muss den Personalverantwortlichen bewusst gewesen sein, kannten sie doch die Einträge in den Personalakten. Die Öffentlichkeit aber sah in dem Hinweis auf Missbrauch in Familien und Sportvereinen sowie auf die sexuelle Revolution der Nach-68er-Jahre als Nährboden für diese Verfehlungen den Versuch kirchlicher Stellen, das abscheuliche Verhalten und die Schwere der Schuld kleinzureden.

Die körperlichen und seelischen Verletzungen der Opfer sind in der Regel nicht zu heilen, sondern bestenfalls zu mildern. Das öffentliche Feilschen um die Höhe der finanziellen Hilfen und über die Übernahme von Therapienkosten musste die Öffentlichkeit darin bestärken, dass auf Seiten der Verantwortlichen die Auswirkungen des Missbrauchs bei den Betroffenen immer noch nicht hinreichend ernst genommen werden, und dass man versuche, mit möglichst wenig Geld das unliebsame Thema aus der Welt zu schaffen.

Bis heute bleiben die Verantwortlichen für den Personaleinsatz außen vor, die den Missbrauch vertuscht, kleingeredet, verschwiegen haben und durch Versetzungen der Täter neue Verbrechen ermöglichten. Wenn der Hehler so gut ist wie der Stehler, dann sind auch diese zu ermitteln, zu benennen und zur Rechenschaft zu ziehen.

Übersehen wurde zuletzt auch die Tatsache, dass die Öffentlichkeit aufgrund dieses amateurhaften Vorgehens alle Priester unter Generalverdacht stellen würde. Die Verunsicherung bei den Gläubigen ist täglich zu erfahren. Kinder dürfen mancherorts nicht mehr an Zeltlagern teilnehmen, wenn auch der Pfarrer mitfährt; anderswo werden bei der Erstbeichte der Kinder Glastüren verlangt, damit die Eltern zwar nichts hören, aber sehen können, ob es nicht zu Übergriffen kommt. Ich bin froh, dass ich als verheirateter Diakon anscheinend von diesen Ängsten ausgenommen werde.

Bis heute ist nicht geklärt, warum – nach Untersuchungen der amerikanischen Justizbehörden – gerade bei Klerikern sexueller Missbrauch gehäuft auftritt, obwohl die Anzahl der Pädophilen unter dem gesamtgesellschaftlichen Wert liegt. Spielt der Zölibat eine nicht zu unterschätzende Rolle? Liegt es an der Überhöhung des Priesteramtes und den Machtstrukturen in der Kirche? Oder sind vor dem Hintergrund des Priestermangels unzureichende Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Amt dafür verantwortlich? Um diese Fragen beantworten zu können, sind neutrale Untersuchungen notwendig, damit sichergestellt ist, dass die Ergebnisse nicht vorrangig den Wünschen der Auftraggeber entsprechen.

Für ein Ende der Diskussionen und Unterstellungen sind absolute Transparenz, kompromisslose Ermittlung der Täter mit Übergabe an die Staatsanwaltschaft, die Benennung derjenigen, die die Vergehen durch Duldung nicht unterbunden haben, sowie eine entsprechend der Schwere der Schuld angemessene Unterstützung der Opfer erforderlich. Nur die volle Wahrheit, so schmerzlich sie auch sein mag, wird Vertrauen zur Kirche und ihren Amtsträgern wieder entstehen lassen.