"Wann immer ich kann, besuche ich den Gottesdienst in der Paulus-Melchers-Kapelle", sagt Herlinde B., und das schon seit Jahrzehnten. Jeden Mittwoch um 18.00 Uhr versammelt sich die kleine Gottesdienstgemeinde in St. Paul in der Kapelle zunächst zum Rosenkranzgebet und dann zur Messfeier oder zum Wortgottesdienst. Zu Letzterem sagt sie: "Die Feier ist immer mit so viel Liebe und Engagement vorbereitet, es ist wohltuend. Ich empfinde das nicht als Gottesdienst zweiter Klasse, es ist eine andere liturgische Form." Sie ist froh, dass auf diese Weise kein Gottesdienst ausfällt, auch wenn es weniger Priester in der Gemeinde gibt.
Herlinde B. hat schon lange vor dem Konzil positive Erfahrungen mit damals ganz neuen liturgischen Formen gemacht – auf Burg Rothenfels hat sie selbst noch Romano Guardini erlebt, dessen Theologie die Liturgiereform des Konzils wesentlich geprägt hat. Rebellisch war das, erinnert sie sich, die Messe zum Volk hin zu feiern und einander das Brot zu reichen. Das Brot zu teilen in der Wort-Gottes-Feiern gehört für sie selbstverständlich dazu, darauf möchte sie nicht verzichten. Und sehr wichtig: "Das gemeinsame Singen mit Herrn Rhiel."
Für Roland P. und seine Nachbarin Hedy ist der Besuch der Severinus- bzw. der Hörnchensmesse oder der entsprechenden Wort-Gottes-Feiern dienstags um 19 Uhr im Hochchor von St. Severin seit langem Tradition. Er bereitet sich darauf vor, schlägt zum Beispiel nach, welche Bibeltexte für den Tag vorgesehen sind. Sich in der Gemeinschaft zu versammeln, biblische Texte zu hören, gemeinsam mit vertrauten Menschen zu beten, das ist ihm wichtig. "Die Wort-Gottes-Feiern haben für mich ebenso spirituellen Charakter, sind genauso feierlich und auch sorgsam gestaltet wie die Messfeiern." Aber einen bedeutsamen Unterschied nennt er doch, und es stellt sich heraus, dass er bisher nur Wort-Gottes-Feiern erlebt hat, die von Frauen geleitet wurden. "Wie gut, dass hier Frauen zu Wort kommen und ihre besonderen Fähigkeiten einbringen können, das dürfte noch viel häufiger sein."
Für Kirchenmusiker Gerd Schmidt steht im Blick auf die Wort-Gottes-Feiern ein anderer Aspekt im Vordergrund. Er sieht hier eine Besinnung auf die Ursprünge des Christentums, auf die Zusammenkünfte der Anhänger des neuen Weges, wie sich die Christen zunächst nannten. Sie übernahmen Verantwortung für die gottesdienstliche Feier, die ohne Priester stattfand, und so tun das jetzt Menschen, die engagiert und kundig die Wort-Gottes-Feiern gestalten. Nach seiner Einschätzung ist das keineswegs ein Gottesdienst zweiter Klasse, sondern einer mit besonderer Prägung, und das wird auch so von den Teilnehmenden wahrgenommen. Für die Zukunft kann er sich auch für Gottesdienste mit musikalischem Schwerpunkt (zum Beispiel Evensong) eine liturgische Gestaltung durch "Laien" vorstellen.