Kann so eine außergewöhnliche Persönlichkeit wie Dietrich Bonhoeffer Vorbild sein, und wie lebt es sich mit einem so großen Namen? Das fragte sich die Pfarrbriefredaktion und Ingrid Rasch bat Mathias Bonhoeffer um ein Gespräch.
Ingrid Rasch: Du trägst einen großen, weithin bekannten Namen, wie Dein Großonkel Dietrich Bonhoeffer – eine Ikone des Widerstandes im Nazi-Regime. Hast Du eine Erinnerung daran, wann Du als Kind oder Jugendlicher gemerkt hast, dass das ein besonderer Name ist?
Mathias Bonhoeffer: Ja doch, das habe ich durchaus in Erinnerung, aber da ging es nicht darum, ob er mir Vorbild sein sollte. Mein erstes Erlebnis in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung für oder gegen die Konfirmation. Zwölf war ich, da hat mein Vater mich zur Seite genommen und gesagt, die Konfirmation stünde nun an. Die Kirche, in die ich zum Unterricht gehen müsste, wäre die Paul-Gerhard-Kirche, und der Pfarrer da wäre jetzt der Pfarrer Dudzus, ein guter Freund und Schüler Dietrich Bonhoeffers, "da bist du also nicht irgend-jemand." Aber wenn es darum ginge, dass ich gern ein Fahrrad hätte, das könne man auch anders lösen. Da habe mich für das Fahrrad entschieden (wir lachen beide).
Allerdings habe ich tatsächlich dann auch als Dreizehnjähriger die Biographie über Dietrich von Eberhard Bethge gelesen, so ein dicker Schinken – das ist jetzt die kritische Ausgabe mit einer Fülle von Anmerkungen (holt zielsicher das Buch aus einem hohen Bücherregal in seinem Büro).
Erstaunliche Lektüre für einen Dreizehnjährigen – ohne Anhänge sind es schon mehr als 600 Seiten!
Ja, damals las man noch mehr, Fernsehen war spärlich, da gab es drei Programme, von 17.30 Uhr bis 22.00 Uhr, das war keine Konkurrenz zum Lesen. Natürlich ist dieses Buch nicht für Jugendliche geschrieben, und die Lektüre war schon eine Herausforderung. Die Theologie habe ich damals nicht verstanden.
Und dazu kommt, dass Dohnanyi der Geburtsname meiner Großmutter ist. Zu der Zeit war Christoph von Dohnanyi am Kölner Opernhaus und es gab den Bildungsminister Klaus von Dohnanyi. Es war klar, dass wir da schon in einer hervorgehobenen, einer etwas privilegierten Situation waren.
Und wie hast Du das empfunden – eher als Lust oder als Last?
Im Alltag ist das eher unwichtig – aber es wird zur Last in der Sekunde, wenn du anfängst, Theologie zu betreiben.
Und wie fing das mit der Theologie an? Die Geschichte mit der Konfirmation spricht ja nicht eben für den späteren beruflich Weg.
Wie kam es zu denn zu dem Wunsch und Entschluss dazu?
Irgendwie bin ich bei Kindergottesdiensten gelandet und dann hatte ich einen sehr guten Religionsunterricht am Gymnasium. Der Pfarrer dort hat uns eingebunden in die Gemeindearbeit in Junkersdorf. Ich bin da langsam reingewachsen, und da ist dann irgendwann die Entscheidung gereift, Theologie zu studieren. Das war aber erst spät, und dann habe ich gründlich studiert (lacht), das war so den Umständen entsprechend, das Studium fiel mir nicht leicht, ich hatte nicht so gute Noten.
War das mit den Noten von Bedeutung für den beruflichen Weg? Und verband sich der Name mit besonderen Erwartungen?
Ja, die Noten sind schon wichtig, denn wir müssen uns ja bewerben auf eine Pfarrstelle. Und ja, es machte einen Unterschied, ob sich ein Schmitz oder ein Bonhoeffer bewirbt.
Eine ganz andere Frage: Hast du eigentlich auch von persönlichen Dingen aus dem Leben Deines Großonkels erfahren, wurde darüber gesprochen?
Da kommen wir jetzt in ganz andere Sphären. Da wurde nichts erzählt. Die meisten Menschen aus dieser Zeit reden nicht, manche tun es konzentriert, es gibt ein paar, die können gar nicht aufhören zu reden, und der Rest schweigt. Ich würde mal für mich in Anspruch nehmen zu sagen, dass diese Familie den höchsten Blutzoll gezahlt hat innerhalb des deutschen Widerstands. Und das nicht nur wegen Dietrich Bonhoeffer. Da ist sein Bruder Klaus, der Schwager Hans von Dohnanyi und der andere Schwager Rüdiger Schleicher. Das sind vier Menschen aus der Generation, die umgebracht worden sind. Und von den Jungs, die meine Urgroßväter in die Welt gesetzt haben, hat einer überlebt.
Da entsteht auch die Frage: Für die einen – warum habe ich überlebt, und für die anderen – warum hat er überlebt und nicht mein Vater. Da wird man sprachlos.
Sind der Name und die Geschichte in deiner jetzigen Familie ein Thema?
Das war schon relativ früh so. Die Kinder sind eigentlich schon in der Grundschule darauf angesprochen worden und später, da muss man dann halt ein Referat halten …
Und wir sind natürlich intensiv im Gespräch – ein großes Thema ist Antisemitismus, die ganze rechte Bewegung, das macht uns große Sorgen.
Gibt es etwas wo du Vorbild sein möchtest oder was du weitergeben möchtest?
Mich selbst als Vorbild sehen, das ist ein Problem. Etwas weitergeben, das mir wichtig ist, das ja. Ich habe mein theologisches Wissen, ich habe meine Art zu predigen, meine Botschaften, die ich weitergeben möchte. Für mich ist wichtig, Gesprächsräume zu eröffnen, nicht für alle, aber für viele. Mir liegt sehr daran deutlich zu machen, woher wir kommen, was unsere Wurzeln sind, nämlich im Judentum. Das liegt mir ganz besonders am Herzen.