Extremsituation Warten

Fünf Minuten Warten auf den Erfolg oder Misserfolg von drei Jahren Arbeit – diese ungewöhnliche Erfahrung beschreibt Michael Wissen aus seiner beruflichen Tätigkeit im DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt). 

Kennen Sie das vielleicht auch? Sie haben viel Arbeit in ein Projekt gesteckt. Mit anderen zusammen geplant, diskutiert, schon einmal gestritten, Probleme gelöst und gemeinsam etwas Großes auf die Beine gestellt – und dann kommt der Moment, in dem sich der Erfolg oder Misserfolg der gemeinsamen Arbeit zeigt. Und dieser "Moment" dauert fünf Minuten, in denen Sie nichts mehr tun können – nur gemeinsam warten.

So ähnlich ist es, wenn wir im DLR einen Satelliten planen, bauen, ins Weltall bringen und dann betreiben wollen. Gut drei Jahre liegen hinter dem Team. Der Satellit ist oben auf einer Rakete befestigt, und der Start in Indien ist für den kommenden Tag angekündigt. Das ist der Zeitpunkt, an dem der gesamte Ablauf noch einmal so real wie möglich vorher geprobt wird.

Alle Mitarbeitenden treffen sich in einem der großen Kontrollräume des DLR in Oberpfaffenhofen bei München. Er sieht übrigens wirklich so aus, wie man es aus Filmen kennt: ein großer dunkler Raum mit großen Bildschirmen an der Wand, vielen Arbeitsplätzen mit Monitoren für die verantwortlichen Mitarbeitenden. Sie führen alle notwendigen Arbeitsschritte testweise auf die Sekunde genau durch. Auch die Zeit, nachdem der Satellit von der Rakete getrennt wird und erst einmal ohne ein "Lebenszeichen" für gut fünf Minuten im All unterwegs ist, wird geprobt. Alle warten darauf, dass ein Test-Funksignal auf einem der großen Bildschirme erscheint, das sagt: "Ich bin gut im All angekommen und bin bereit für alles Weitere". Dies wird alles so real umgesetzt, dass schon hier das "geprobte" Warten eine innere Spannung auslöst und sehr real wahrgenommen wird.

Der nächste Tag bringt dann die Entscheidung. Früh morgens um fünf Uhr geht es los. Die Bilder aus Indien sind zu sehen. Warten auf den Start der Rakete – die Spannung ist greifbar. Aber hier haben immer noch andere die Verantwortung für das Gelingen. Und alles klappt – ein Bilderbuchstart. Mit der Meldung aus Indien "Satellit erfolgreich ausgesetzt" beginnen die "echten" fünf Minuten, bei denen es am Ende auf unsere eigene Arbeit ankommt. Und diese fünf Minuten Warten sind eine sehr intensive Zeit. Es ist eine Mischung aus professioneller Gelassenheit, steigender innerer Anspannung und vielen Gedanken dazu, was alles schief gehen kann und was es bedeuten würde, einen Misserfolg vertreten zu müssen. Das intensiviert sich mit jeder Sekunde, die bis zum erwarteten Kontakt heruntergezählt wird. Als dieser Zeitpunkt erreicht und überschritten wird, verändert sich die Atmosphäre im Raum und im gesamten Team merklich. Ein paar weitere Sekunden nur, in denen eine absolute, seltsame Ruhe spürbar wird. Dann ein kleiner Ausschlag auf einer angezeigten Kurve auf den Bildschirmen: Ist es der erwartete Kontakt zum Satelliten? "Wir haben ein Funksignal", mit diesem Satz ist das Warten dann beendet. Jubel, Klatschen, eine kurze Umarmung mit dem Nebenmann – die Anspannung weicht – unsere Arbeit war erfolgreich.

Nach dieser intensiven Erfahrung, bei der es ja "nur" um einen Satelliten geht, habe ich selber nur eine leise Ahnung davon bekommen, was es bedeutet die Verantwortung für das Leben von Menschen zu tragen, die zu Missionen ins All aufbrechen. Was es bedeutet, nicht auf ein einfaches Funksignal, sondern auf ein Lebenszeichen zu warten. Vielleicht denken Sie mal daran, wenn Sie den berühmten Satz des Apollo 13-Kommandanten im gleichnamigen Film hören: "Houston wir haben ein Problem".

Großer Kontrollraum K1, des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt DLR in Oberpfaffenhofen (c) DLR, CC BY-NC-ND 3.0

Großer Kontrollraum K1, des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt DLR in Oberpfaffenhofen