Alfred Gehrmann sprach mit Mitgliedern von Kirchenchor, Kammerchor und Schola darüber, worum es beim Singen im Chor geht.
Als Alfred te Laak Ende der 50er Jahre Organist und Chorleiter an St. Severin wurde, hatte er eine Idee. Seiner Ansicht nach war der Kirchenchor in keinem guten Zustand, und er beschloss, mit jungen Menschen einen Neustart zu beginnen. Also sagte er seinem Orgelschüler, dem damals 22jährigen Richard D., er solle ab sofort zu den Proben kommen. D. ist seitdem dabei, und im Laufe der Zeit hat er fünf Chorleiter erlebt. Mit Gerd Schmidt, der heute den Chor leitet, ist er sehr zufrieden: "Er ist der beste in puncto Musikalität und Freundlichkeit. Er respektiert unser Alter, aber er lässt uns nichts durchgehen."
Die Verjüngung des Kirchenchors nahm schnell Fahrt auf, und zum 75jährigen Chorjubiläum im Jahre 1964 standen 65 Mitglieder in schwarzer Kleidung am Altar in St. Severin. Für viele dieser Sängerinnen und Sänger wurde der Chor ein zentraler Bestandteil ihres Lebens. Lilo M. erinnert sich: "Bei den Festgottesdiensten an hohen Feiertagen mussten auch unsere Familien zurückstehen, denn der Chor ging vor."
Der Kirchenchor hat viele Jahre das Gemeindeleben mitgeprägt: Nicht nur mit den lateinischen Messen ("Da haben wir große Routine!"), sondern bei Feiern und Ausflügen oder der Chorsitzung, die 43 Jahre lang am Karnevalssonntag stattfand. Neue Wege ging der Chor 1981 mit der "Kölschen Mess", die damals von der Geistlichkeit durchaus kritisch gesehen wurde.
Für viele ist der Kirchenchor mittlerweile selbst zu einer Familie geworden. Nach dem Tod ihres Mannes sagte sich Gertrud B.: "Du musst jetzt was Richtiges machen – und hier habe ich mehr als einen Chor gefunden." Die Eheleute P. kamen aus Deutz dazu, als sie in einem anderen Chor die Altersgrenze erreicht hatten, und jetzt bereichert Heidi P. mit ihrem hohen Sopran den Gesamtklang des Chores.
Regina und Hartmut H. haben sich im Kirchenchor kennengelernt und geheiratet. Schon am Tag nach ihrer Hochzeit fuhren sie mit zu einem Auftritt in Trier. Sie singen heute auch im zweiten Erwachsenenchor der Gemeinde St. Severin, dem Kammerchor.
Aus dessen Gründungszeit gibt es lustige Erinnerungen. Als Ergänzung zum Kirchenchor sollte ein Gospel-Chor gegründet werden, und Renate erzählt von einem "Klärungsprozess in der Musikakademie Remscheid mit einer renommierten Gospel-Sängerin, die uns sagte: Ihr müsst knusprig singen!" Das Ergebnis war die Erkenntnis, dass "weder Chor noch Leiter eine Gospel-Seele haben."
Also begann man erst einmal mit einem gemischten Repertoire und einem Auftritt bei einem Fest in der Buschgasse, der noch nicht ganz optimal verlief. Offenbar hat sich aber in den 13 Jahren seither vieles verbessert. Renate ist selbstbewusst: "Unser Können und unser Anspruch sind mit den Jahren gewachsen." Der Kammerchor hat einen hohen Standard erreicht, "und Gerd Schmidt bringt uns immer noch ein Stück weiter". Wenn er ein neues Stück in Händen hält, denkt Wolfgang manchmal: "Das kriegst du nie hin", aber es geht ihm wie Hartmut: "Die guten Sänger im Chor ziehen dich mit." Wer früher schief gesungen hat, singt jetzt richtig. "Und dann kommen die Erfolgserlebnisse", sagt Ruth: "Manchmal habe ich bei Auftritten Gänsehaut und Tränen in den Augen."
Für Regina steht fest: "Unser Chor tut der Gemeinde gut, das merken wir an der guten Stimmung nach Gottesdiensten und Konzerten." Sie ist auch dankbar, denn "die Gemeinde ermöglicht es uns, ohne Teilnehmergebühr mitzusingen. Auch bei den Konzerten wird kein verpflichtendes Eintrittsgeld erhoben. Das finde ich gut. Obwohl ich weder Noten noch ein Instrument richtig gelernt habe, kann ich hier selbst aktiv musizieren. Ich erhalte Zugang zu Kirchenmusik, die früher nicht mein Interesse fand und mich jetzt berührt. Die geprobten Stücke begleiten mich häufig durch die Woche."
Viele Sängerinnen und Sänger im Kammerchor berichten, wie gut ihnen der Chor geistig und körperlich tut. Das Singen lässt Regina "aus dem Gedankenkarussell aussteigen." – "Atmung, Stimmung, Ausdruck", zählt Barbara auf: "Diese positiven Effekte spüre ich", und sie ist froh, dass sie sich irgendwann in diese Gruppe hineingetraut hat.
Peter singt auch noch in der Schola: "Bei den gregorianischen Gesängen kommt der meditative Effekt hinzu: die Balance aus Konzentration und Leichtigkeit, die wir jetzt neudeutsch als Flow bezeichnen." Seiner Ansicht nach sind "Religion und Singen keine zufälligen Partner, weil die Musik genau wie der Glaube über die Möglichkeiten der Sprache hinausgeht." Er hatte schon immer Musik gemacht, nur nicht gesungen: "Dann hat meine Frau mich mitgeschleppt, weil der sogenannte Gospelchor Männerstimmen brauchte. Nach drei Proben wusste ich: Singen ist die unmittelbarste Form des Musizierens. Mittlerweile versuche ich, so zu spielen, wie ich singe."
Auch im Kammerchor spielt die Gemeinschaft eine große Rolle. Für Regina erweitert der Chor den Horizont, "denn manchen wäre ich außerhalb des Chors wahrscheinlich nie begegnet." Das zielgerichtete Arbeiten an einem Projekt vereint den Kammerchor, und die Probewochenenden auf der Marienburg an der Mosel haben einen festen Platz im Jahreskalender.
Jetzt steht Mozarts Requiem an. Wolfgang hofft, dass die nächsten Konzerte wieder weitere Mitglieder anlocken. Der Kammerchor wünscht sich auch Unterstützung im Förderverein und hofft, dass das Erzbistum weiterhin die GEMA-Gebühren für die Kirchenmusik übernimmt. Mit Open-Air-Auftritten wie beim Tannenbaumsingen am Silvesterabend sollen noch mehr Menschen angezogen werden. Vor allem will der Kammerchor bleiben, was er ist: Teil der lebendigen und offenen Gemeinde.
Auch der Kirchenchor hat wieder Pläne. Über eine musikalische Begleitung der Hörnchensmesse am Dienstagabend wird nachgedacht, und eine neue Chororgel wünscht man sich, die den kleiner gewordenen Chor angemessen unterstützt. Ganz besonders aber freut sich der Kirchenchor auf neue Mitglieder für diese an musikalischer und Lebenserfahrung so reiche Gemeinschaft.