Sehnsucht nach der alten Institution

Hans Dieter Z. (71), dessen Bruder in Köln lebt, schreibt zu seinem Austritt und Wiedereintritt.

Es ist nicht leicht, darüber zu sprechen: über den Austritt aus der katholischen Kirche und den Wiedereintritt. Einerseits ist es ein komplexer Vorgang, der mit der Erfahrung eines ganzen Lebens zu tun hat, andererseits gibt es eine gewisse Scham, über etwas so Intimes zu sprechen. Ich war immer auf der Suche nach Gott, wenn das auch etwas geschwollen klingt.

Als Gymnasiast hatte ich mir die Antwort des Faust auf Gretchens Frage in Goethes "Faust" angeeignet: Gott als das überall wirkende schöpferische Prinzip. Daran halte ich auch jetzt noch fest. Die katholische Kirche, in die ich hineingeboren wurde, war eine äußerliche Angelegenheit, deren inneres Leben ich nicht spürte. Es war eine Form, die man einhalten musste, ohne zu wissen, warum. Es gehörte sich halt so. Unser Religionslehrer war ein lieber Mensch, konnte aber auf unsere drängenden Fragen keine befriedigenden Antworten geben. Gerne wäre ich in den katholischen Bund "Neudeutschland" gegangen, aber mein entschieden antikirchlicher Vater verbot es mir. Was mich anzog, war freilich mehr das Pfadfinderleben als der Gottesdienst. Trotzdem ging ich gerne zur Kirche wegen der alten Lieder und der gregorianischen Gesänge.

Ich trat schließlich aus der Kirche aus, als ich anfing zu arbeiten, aus zwei Gründen: einmal aus Unbehagen an der Institution der Kirche, deren Unehrlichkeit, deren Repression, wie ich es empfand, zum andern wegen der Kirchensteuer. Das ist wohl der wichtigste Grund für die Austritte: Die einzige Steuer, die man ohne Mogeln sparen kann, ist die Kirchensteuer.

Bei Heinrich Böll las ich, es gelte zu unterscheiden zwischen der Kirche als Institution, der Theologie als Wissenschaft und Jesus Christus. Die ersten beiden seien fragwürdig, eben Menschenwerk, an Jesus aber könnten wir festhalten. Im Neuen Testament lernen wir ihn kennen. Alles, was er sagt und tut, lässt sich mit zwei Worten zusammenfassen, wie das einmal die jüdische Philosophin Hanna Arendt sagte: "tätige Güte". Daraus ergibt sich auch, dass ein Christ nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten zu erkennen ist.

Mein Austritt führte zu einer allmählichen Hinwendung zu Jesus, nicht dem der Kirche, nicht dem der Theologen, sondern dem des Evangeliums. Da unsere ersten beiden Kinder in die Waldorfschule gingen, lernte ich die Christengemeinschaft kennen, eine kleine anthroposophische Kirche, deren tiefer Ernst mich beeindruckte. Ich wurde Mitglied. Mitglieder von sog. Sekten werden ja in der Regel Menschen, denen der Gottesdienst der katholischen oder evangelischen Kirche nicht genügt, so dass sie sich anderswo die spirituelle Erfüllung suchen, nach der sie sich sehnen.

Dass ich dann mit etwa 55 Jahren wieder in die katholische Kirche zurückkehrte, kam aus der Sehnsucht nach der alten, uralten Institution, die ein Erbe über zweitausend Jahre bewahrte, unerschüttert von den oberflächlichen Regungen des Zeitgeistes, und die die Sakramente hütete. Das Kostbare an der katholischen Kirche ist, dass sie konservativ ist, dass sie – im Wortsinne von "bewahrend" – alte Schätze bewahrt und sie nicht an den jeweiligen Zeitgeist verrät. Dies sind vor allem die Sakramente, besonders das der Kommunion. Um der Sakramente willen ist die Kirche nötig.

Ich war traurig, als ich wieder eintrat, da ich so lange draußen gewesen war. Ich sehe jetzt meinen Weg als einen großen Bogen: Ausgangspunkt die Kirche, dann der Gang in die Welt hinaus, um in einem Bogen wieder zurückzukehren zur Kirche und dann erst zu verstehen, zu verstehen zu beginnen, was das Sakrament bedeutet und der Kreuzestod Christi. Wandlung und Kommunion gibt es in jedem Gottesdienst. Was mich an manchen engagierten Katholiken irritiert, auch an manchen gelehrten Theologen, ist die permanente Kritik an der Institution der Kirche. Diese ist nicht unberechtigt, führt aber, bleibt man bei der Kritik stehen, am Kern der Kirche vorbei. Was beiden Kirchen in Deutschland fehlt, ist ein spiritueller Aufbruch, der nur von innen kommen kann. Ich finde ihn, wenn ich zu langen Wochenenden ins Kloster gehe – wie viele –, um dort zu beten, zu schweigen und zu hören. Mönche und Nonnen werden selten hierzulande, aber die Klöster sind überfüllt mit Laien, die ein spirituelles Erlebnis suchen.