Ein letztes Mal Wurzeln schlagen
Altenheim - muss das eine dauerhafte Erfahrung von Entwurzelung sein, oder können die Bewohnerinnen und Bewohner neue Wurzeln schlagen? Claudia Pabich von der Pfarrbriefredaktion hat im Clara-Elisen-Stift mit einer Bewohnerin gesprochen und mit dem Sozialpädagogen Jan H., der dort seit sechs Jahren im sozialen Dienst tätig ist.
Karin G. sitzt in ihrem Rollstuhl vor dem Seniorenheim und genießt die frühherbstliche Sonne. "Nie hätte ich gedacht, dass ich mit 69 Jahren hier würde einziehen müssen", beginnt sie unser Gespräch. Sie hatte damals einen schweren Schlaganfall und kann sich an die ersten drei Monate danach kaum erinnern. Ständig auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, ist ihr sehr schwer gefallen. Dass sie so oft nach einer Pflegerin klingeln musste, hat sie einfach "genervt", sagt sie mit einem Seufzen. Sie erinnert sich auch daran, dass sie einmal eine Pflegerin bat, ihr ein Butterbrot zu schmieren. Deren Hinweis, dass sie das selbst könne, fand Karin G. zunächst "ganz schön frech". Sie hat es aber dann ausprobiert, es funktionierte, und sie war der Pflegerin dankbar für diese Motivation. Nach und nach hat Karin G. so wieder eine recht große Selbständigkeit erlangt. Im Clara-Elisen-Stift fühlt sie sich verwurzelt. Sie kennt das Haus schon lange, weil ihr Schwiegervater hier gelebt hat und weil sie sich seit 1991 selbst hier ehrenamtlich engagierte. "Für mich war das hier ja nicht fremd", betont sie. "Ich habe mir gesagt: Hier bist du jetzt angekommen. Das ist jetzt dein Leben."
Die Seniorin ist überzeugt, dass sie ein erfülltes Leben geführt hat. Sie habe einen tollen Mann gehabt, der leider viel zu früh verstorben sei, und einen interessanten Beruf, für den sie sehr viel in der Welt herumgereist ist. "Das Clara-Elisen-Stift ist das tollste Seniorenheim in Köln", findet sie. Sie schätzt das vielfältige Angebot (besonders Konzerte, Ausflüge,Museumsbesuche, evangelische und auch katholische Gottesdienste), die gute Verpflegung und die Gemeinschaft. "Es ist hier sehr ruhig, und man ist trotzdem mitten in Köln." Das alles ist ihr wichtig.
Aber Karin G. tut auch selbst viel, um sich hier noch weiter zu verwurzeln. Sie ist nicht nur die Vorsitzende des Heimbeirates, sie liest jeden Freitag in der Demenzabteilung vor und engagiert sich ehrenamtlich im Kindergarten. Recht unvermittelt muss sie unser Gespräch beenden, denn sie will eine Mitbewohnerin dazu animieren, sie zum gleich beginnenden Gedächtnistraining zu begleiten.
Das Gespräch mit Jan H.:
Fühlen sich die Menschen zwangsläufig entwurzelt, wenn sie in ein Seniorenheim ziehen?
Die Menschen kommen unterschiedlich gut zurecht. Bei vielen ist es so, dass sie ganz plötzlich und ohne Vorbereitung hier einziehen müssen. Manche sehen ihre Wohnung nicht mehr wieder. Die eigene Wohnung aufzugeben und sich neu zu orientieren, ist ein großer Schritt. Manchmal kann das auch zu Depressionen führen. Viele tun sich schwer zu entscheiden, was sie aus der Wohnung mitnehmen sollen und was nicht. Es fällt schwer, zum Beispiel ein teures Porzellan, auf das jemand lange gespart hat, das man hier aber eher nicht brauchen kann, wegzugeben. Die vertraute Umgebung fehlt den dementen neuen Bewohnern besonders, aber auch hier gibt es positive Beispiele von Menschen, die sehr zufrieden wirken.
Die ersten sechs Wochen hier stellen eine Eingewöhnungsphase dar. Eine feste Bezugsperson kommt regelmäßig bei den neuen Bewohnern vorbei und bietet Unterstützung an, die auch jeder in irgendeiner Form benötigt.
Wann gelingt es älteren Menschen, sich hier noch einmal neu zu verwurzeln?
Viele sind hier im Veedel verwurzelt. Ihnen ist es wichtig, nicht "ganz weg" zu sein. Schwierig ist es für alte Menschen, die vorher nicht in Köln gelebt haben und auf Wunsch ihrer Kinder nach Köln gekommen sind. Sie beklagen, dass hier nicht ihre Heimat ist. Andere blühen nach einiger Zeit auf, etwa wenn sie nach dem Tod von Angehörigen und Freunden über längere Zeit einsam waren. Nun genießen sie es, unter Menschen zu sein und neue Kontakte zu knüpfen.
Welche Angebote machen Sie, damit sich die Bewohner hier heimisch fühlen können?
Wer möchte, kann in seiner Hausgemeinschaft – es gibt insgesamt sechs – frühstücken und zu Abend essen. Das Konzept der Hausgemeinschaften erleichtert es den Menschen, sich in einem überschaubaren Umfeld zu beheimaten. Und es gibt ein reichhaltiges Angebot von Aktivitäten. Bei unseren Ausflügen zum Beispiel kommen die Bewohnerinnen und Bewohner mal raus und genießen das. Bowling mit der "Wii" und Surfen im Internet sind beliebte Beschäftigungen. Bei "Streetview" nachzusehen, wo man einmal gewohnt hat, bereitet vielen Freude. Je offener jemand für andere Menschen und neue Erfahrungen und Aktivitäten ist, desto leichter fällt es ihm, noch einmal Wurzeln zu schlagen. Karin G., die seit 2008 im Haus lebt, ist da ein gutes Beispiel.