Ganz einfach ist es nicht, ein Gespräch zu vereinbaren mit Pater Stefan Ochalski, dem Seelsorger der polnischen Gemeinde; sein Arbeitstag ist sehr ausgefüllt. Aber dann nimmt er sich viel Zeit. Er spricht ausgezeichnet deutsch. Der große kräftige Mann spricht überraschend leise und einfühlsam, ist sehr aufmerksam und zugewandt. Es ist zu spüren, wie sehr ihm seine Gemeinde am Herzen liegt, aber auch, wie sehr ihn die Sorgen um diese Gemeinde belasten.
Sehr schnell wird im Gespräch deutlich, dass es die polnische Gemeinde nicht gibt. Der Seelsorger unterscheidet verschiedene Gruppierungen, bei denen die Inhalte und die Intensität der Verwurzelung stark voneinander abweichen. Da gibt es eine große Gruppe von Umsiedlern und Spätaussiedlern, die seit vielen Jahren hier leben, es gibt Studenten, die im Rahmen von europäischen Austauschprogrammen ein bis zwei Semester hier wohnen, es gibt gut ausgebildete Fachleute verschiedener Branchen, es gibt nicht so gut ausgebildete saisonale Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und im Baugewerbe und nicht zuletzt Frauen, die Pflege- und Hauswirtschaftsdienste leisten. Allen gemeinsam ist, dass sie in ihrer Muttersprache beten und singen wollen.
In der Gruppe der Spätaussiedler gibt es viele, die traditionellen Werten sehr verbunden sind; die Mitwirkung von Laien im Gottesdienst etwa oder das Engagement in Gremien ist ihnen nicht nur fremd, sondern wird als Missachtung traditioneller Werte wahrgenommen. Die Heimat haben sie nach Meinung von Pater Stefan überwiegend aus ökonomischen Gründen verlassen und fühlen sich, trotz der vielen Jahre des Lebens hier, entwurzelt und verunsichert. Sie halten darum stark am Althergebrachten fest und bilden eine geschlossene Gruppe.
Besonders intensiv erlebt er dieses Bedürfnis bei Menschen, die nur eine geringe schulische und/oder berufliche Ausbildung haben und wenig deutsch sprechen.
Er kennt aber auch andere, die sich schnell integriert haben und in gutem Kontakt zu ihren deutschen Gemeinden leben, ab und zu den Gottesdienst in ihrer Muttersprache besuchen. "Beten und zählen kann man am besten in der Muttersprache", davon ist er überzeugt.
Etwa 2000 Menschen kommen jeden Sonntag zu den drei Messfeiern (eine in St. Marien in Kalk und zwei in St. Paul) – eine Zahl, die Pater Stefan nicht so beeindruckend findet wie vermutlich die Mitglieder deutscher Gemeinden. Er fragt sich, welche Werte über den Gottesdienstbesuch hinaus den Menschen wichtig sind, wie weit der Glaube ihr Leben prägt, oder ob der Kirchgang überwiegend eine unhinterfragte Tradition ist. Ein Engagement über den Kirchgang hinaus ist nach seiner Erfahrung eher nicht gegeben; Familie und Beruf werden als Hinderungsgrund genannt. Zum Verständnis der aktuellen Situation macht Pater Stefan darauf aufmerksam, dass es auch in Polen selbst sehr unterschiedliche Formen des Lebens und Glaubens gibt, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass das Land jahrzehntelang geteilt war. "Was uns verbindet, ist der Glaube, und der ist besonders in der kommunistischen Zeit eine prägende Kraft gewesen, die heute langsam schwindet."