St. Maternus: Sechzehn Uhr acht

Umbrüche verkraften und Veränderung gestalten - vor diese Aufgabe waren die Pfarrangehörigen von St. Maternus in der wechselvollen Geschichte ihrer Kirche gestellt. Die Historikerin Dr. Gabriele Oepen-Domschky hat sich nicht nur mit unserer Kirche St. Maternus beschäftigt, sondern auch mit den Menschen dort.

St. Maternus, Entwurf von Stephan Mattar, um 1907 (aus dem Buch Kirche Kanzel Kloster)

St. Maternus, Entwurf von Stephan Mattar, um 1907 (aus dem Buch "Kirche Kanzel Kloster")

Von großen Plänen und finanziellen Nöten

Es hatte mit dem ersten Spatenstich so verheißungsvoll begonnen: "Dienstag, den 15. Juli [1913] morgens 8 ½ Uhr Festmesse mit einer packenden Ansprache des Herrn Pfarrers Wollersheim [von St. Severin], der selbst 300 Mk auf den Opferteller legte. Dann ging es mit bekränztem Spaten zum Kirchplatz, eine große froh bewegte Volksmenge mit." Die jenseits der Ringstraßen in der Kölner Neustadt zwischen Rhein und Bonner Straße wohnenden katholischen Bürger waren froh, endlich eine eigene Pfarrkirche zu bekommen.
Für diese hatte der Architekt Stephan Mattar (1875-1943) eine neue Lösung erdacht: Eine Gruppenbauweise, die Wohn-gebäude für Pfarrer und Küster sowie ein Pfarrheim einschloss. Wegen Finanznot wurden diese erst 1926 vollendet, der Turm kam nie über die Dachhöhe hinaus.
Die Kirche selbst legte Mattar als dreischiffige Basilika an, mit leicht heraustretendem Querhaus und Chorapsis sowie zwei kleinen Fronttürmen und einer vorgelagerten Arkardenhalle. Den Turm, der zu Pfarrgarten und -wohnungen überleitet, platzierte der Architekt neben die Apsis. Über dem Sockel aus dunkler Basaltlava erhebt sich der Außenbau aus grob behauenem Tuff- und Sandstein, an den sich an Mittelschiff und Querhäuswänden ein Wechsel von rotem Ziegel und hellem Sandstein anschließt. Säulen sowie geometrische Ornamente gliedern die Außenmauer des Chors. Über der Arkardenhalle an der Nordseite sind mehrere Rundfenster sowie als Zeichen der Erneuerung und Auferstehung eine Eidechse angebracht.

Eine Asphaltschicht als Bodenbelag und graue Putzwände

Am 22. Oktober 1916 weihte Erzbischof Felix Kardinal von Hartmann die Kirche – wegen des Ersten Weltkrieges ohne große Feierlichkeiten – auch, weil der spätere Pfarrer Wilhelm Köhne (1871-1951) und seine Gemeinde in einem Rohbau saßen. Es gab eine Nottüre aus Tannenholz, der Boden war vorläufig asphaltiert, die Wände grau verputzt. Die Notverglasung sei an Allerheiligen und Weihnachten 1916 bereits wieder herausgefallen.

Mattar hatte einer malerischen Innenraumgestaltung den Vorrang gegeben und auf gliedernde Elemente der Wände wie Gesimse verzichtet sowie auch auf Fenster in der Apsis. Hier sollten Malereien oder Mosaiken entstehen. Einziger Schmuck waren somit die in Jugendstil ausgeführten Kapitelle der 12 polierten Granitsäulen mit Darstellungen der heiligen Sakramente, der vier letzten Dinge, Glaube, Liebe, Hoffnung, der Elemente, der vier Evangelisten, Kirche und Synagoge sowie der Kardinal-tugenden.
Für den Hochaltar fertigte die Fa. Böll & Polls die Aufbauten sowie einen Teil der heute noch erhaltenen Kirchenbänke und das Taufbecken. Die weitere Ausstattung zog sich noch bis in die 1930er Jahre hin. 1926 malte Augustin Kolb die Chorapsis aus - mit einer monumentalen Christusfigur und einem Bildnis von Gottvater, umgeben von Sternzeichen. 1933/34 erhielt das Kirchenschiff kleinere Kunstwerke, einen einfachen Anstrich in Gelb und Grün, darauf figürliche Darstellungen.
Die Fenster bekamen eine Buntverglasung; in den Seitenschiffen waren neun heilige Kölner Bischöfe zu sehen, darunter der Hl. Maternus.
Mehr als zehn Jahre waren der neuen Inneneinrichtung der Kirche dennoch nicht beschieden. Das Kriegsjahr 1944 wurde für St. Maternus zur Stunde Null.

Die Stunde Null

Pfarrer Köhne berichtet in der Chronik: „Am 28.10. [1944] nachm. wurde ein Hauptverband von Düren auf Richtung Köln gemeldet. Wir begaben uns in den Luftschutzkeller unter dem Kirchenturm. Es dauerte nicht lange, da hörte man die Bomben runtersausen, es ließ nicht nach, wir drängten uns betend zusammen, da auf einmal entsetzliches Getöse in nächster Nähe, die Abschlusstür zum Kirchenkeller hin flog auf, eine Wolke von Staub u. Mörtel erfüllte die Luft. Als es endlich ruhiger wurde, stiegen wir nach oben und sahen das Werk der Zerstörung. Die Uhr in der Sakristei war auf die Seite geworfen und um 16.08 stehengeblieben.“

Kirchenbank aus der Werkstatt Böll und Polls mit der (römischen) Jahreszahl 1916. (c) SilviaBins
Der Wandteppich, von Frauen aus dem Gemeinde gefertigt, hing früher im Chorbereich. (c) AEK, Pfa Köln, St. Maternus

Das Dach war fast ganz weggesprengt, im Chorgewölbe und in der Außenmauer im westlichen Querschiff war ein Riss von 12 cm Breite entstanden, die Inneneinrichtung zertrümmert. Allein der Tabernakel und der Josephsaltar waren unversehrt. Von nun an mussten die Gottesdienste im Herz-Jesu-Heim abgehalten werden. Damit waren den Menschen zentraler Gottesdienstort und Gemeinschaftserleben genommen.

Neuanfang in der Notkirche

Christi Himmelfahrt 1946 feierte Köhne erstmals Erstkommunion in der Notkirche im Pfarrhaus. Anders als die Pfarrer der romanischen Kirchen konnte er nicht auf staatliche Zuschüsse zum Wiederaufbau hoffen. Der konnte erst mit der Währungsreform beginnen. Unter seinem Nachfolger Johannes Verfuß wurde im Oktober 1951 das Langhaus von St. Maternus wieder genutzt. Dach und Gewölbe der Seitenschiffe waren geschlossen sowie ein Notchor in Stahlskelettbauweise errichtet worden. Ein Kalkanstrich für Haupt- und Seitenschiffe, Decke und Notchor musste genügen. Der Fußboden wurde mit Altmaterial aus dem Altar- und Chorraum gedeckt, alte Leitungen wiederverwendet. Licht spendeten gebrauchte Straßenlampen der Stadt Köln, und jemand stiftete einen Liedanzeiger. Die Sakristei wurde instandgesetzt. Zwischen 1952 und 1955 setzten Baufirmen auch die Pfarrbauten instand – Grundlage für das aufblühende Pfarrleben.

Das Runde ersetzt das Eckige: Eine neue Altarkonzeption

1962/63 begann die Wiederherstellung der Gesamtkirche. Nach Entwürfen des Krefelder Malers Gerhard Kadow (1909-1981) entstanden die ornamentalen Muster der Kassettendecke in der Vierung. Weitere Künstler wurden für Altar und Altarhängekreuz (Rudolf Peer) sowie für vier große Altarleuchter, Tabernakel und Leuchter für die Osterkerze gewonnen (Albert Sous).


Eine Besonderheit stellt bis heute die Altarrundung der Vierung dar, denn sie ist ein Resultat der liturgischen Erneuerung, die durch das 2. Vatikanische Konzil initiiert wurde. 1966 beschloss der Kirchenvorstand die Neugestaltung des Altarbereichs in Form einer lediglich um eine Stufe erhöhten, runden Insel in der Vierung, auf der der Altar steht. Die Gemeinde nahm diese Neukonzeption begeistert an, denn so wurde die Versammlung der Gläubigen um den Altartisch unter Einbeziehung der beiden Querhäuser möglich.
Damit erhielt die Kirche im Innern ihre moderne Gestalt. Heute dominieren das Querschiff aber auch dessen farbige Fenster, die Marga Wagner Ende der 1980er Jahre zusammen mit Pfarrer Johannes Lüdenbach (1934-2008) und dem Kirchenvorstand plante und gestaltete. Auf der Westseite zeigen die Fenster das Thema "Neues Leben" mit der Ostersonne im zentralen Mittelfenster. Auf der Ostseite steht das Leitmotiv des Lebensbaumes mit der Kreuzigung im Zentrum.

Umbrüche erleben – Veränderung gestalten

Die Umbrüche der Zeit, besonders nach Erstem und Zweitem Weltkrieg, forderten die Pfarrangehörigen von St. Maternus geradezu heraus. Die Innengestaltung der 1930er Jahre wurde durch Handwerker und Künstler bewerkstelligt, aber auch mit Unterstützung der Gemeindemitglieder – kleinere, von Gemeindefrauen hergestellte Arbeiten wie der Marienteppich entstanden ebenfalls in dieser Zeit. Prägend für die Gemeinde waren sicherlich Pfarrer Wilhelm Köhne und in neuerer Zeit Pfarrer Johannes Lüdenbach sowie seit den 1960er Jahren auch einzelne Gemeindemitglieder, die mit ihren Stiftungen zur Gestaltung des Kirchenraumes beitrugen.

 

Die heutige Chorapsis von St. Maternus. (c) SilviaBins
Die Chorapsis um 1930 mit der Ausmalung von Augustin Kolb. (c) AEK, Pfa Köln, St. Maternus