Wenn Stille hörbar wird

Licht und Akustik von Sankt Maternus

Christoph Schmitz (Journalist, Gemeindemitglied) im Gespräch mit dem Lichtkünstler Rolf Zavelberg und dem Musiker Markus Stockhausen:
 

Zehn Jahre lang, von 2000 bis 2010, haben Sie den Innenraum von Sankt Maternus einmal im Monat mit Lichtinstallationen und Musik erfüllt. Wie haben Sie unsere Kirche überhaupt entdeckt?

Zavelberg: An einem Heiligabend 1997. Ich traf zufällig eine befreundete Familie. Ihr eineinhalbjähriger Sohn machte mir unmissverständlich deutlich, daß ich mit ihm in die Christmette zu kommen habe. Da habe ich zum ersten Mal die Maternus-Kirche betreten, und meine erste Reaktion war "Wow!". Der Innenraum öffnete sich mir förmlich! Das war phänomenal. Die Weite von Sankt Maternus hat mich zutiefst beeindruckt. Während der Christmette habe ich dann weitere Facetten der Architektur und der Akustik wahrgenommen und gleich gedacht – das ist eine super Konzertkirche und ein super Lichtraum. Zu dieser Zeit waren Markus Stockhausen und ich noch in der Luther-Kirche aufgetreten. Im Jahr 2000 haben wir dann in Maternus begonnen.

Was bietet Maternus für eine künstlerische Lichtgestaltung?

Zavelberg: Vor allem die schöne tiefe Apsis, die leeren weißen Wände, die großen freien Flächen. Vor und hinter dem Altar haben wir Projektionsflächen und Lichtelemente eingesetzt und den ganzen Kirchenraum beleuchtet. Das Publikum saß dann mitten in der Installation.

Stockhausen: Und weil zusätzlich die Decke der Apsis beleuchtet war und das Licht aus der Apsis hinausfloss, entstand der Eindruck, man sitze unter einem Himmel.

Zavelberg: Meine Lichtkompositionen entwarf ich intuitiv live zur Musik. Pfarrer Joseph Embgenbroich hat damals immer wieder gesagt, er habe das Gefühl, als weite sich der Raum durch das Licht, als zöge er sich wieder zusammen, als fingen die Mauern an zu atmen. Genau das hatten wir gewollt. Und dazu ist die Architektur von Sankt Maternus in der Lage.

-®Gordon Axmann, www.aktivraum.de_2 (c) Gordon Axmann

Nun ist Sankt Maternus ja weder ein Kunstmuseum noch eine Konzerthalle, sondern ein sakraler Raum. Welche Rolle spielte das für Sie?

Zavelberg: Unsere Absicht war es, den Menschen zu helfen, bei sich selbst anzukommen. Denn die farblichen und musikalischen Bewegungen und Veränderungen entwickelten sich beständig, aber doch sehr, sehr langsam. Außerdem haben wir viel mit Stille gearbeitet, die Maternus auf besondere Weise bietet. So hatten die Besucher in der Stille anfangs zumindest fürs Auge etwas zum Festhalten. Und wenn sie versuchten, der Bewegung der Farben, Strukturen und Bilder zu folgen, sind sie bei sich gelandet, weil die Veränderungen zu langsam waren, um sich von ihnen ablenken zu lassen. Die Veränderungen des Lichtes, sein Aufleuchten und Verlöschen, haben zudem etwas von Werden und Vergehen. Sie sind eine Allegorie fürs Leben. Meine Lichtinstallationen verbanden sich mit dem Sakralraum zu einem spirituellen Raum. Aus dem Sehen wird ein Schauen. Dieses Schauen führt dann zu einer Kontemplation.

Stockhausen: Und dafür ist Sankt Maternus besonders geeignet. Von außen wirkt diese Kirche auf mich fast unscheinbar. Vielleicht liegt es an der zurückhaltenden Farbe des Steins. Und das Gebäude an sich fügt sich in die umliegenden Gebäude auf schlichte Weise ein. Aber wenn man reinkommt, dehnt und öffnet sich der Raum, was man gar nicht vermutet hätte, und lädt einen geradezu ein.

Zavelberg: Maternus ist eine der kraftvollsten Kirchen, die ich kenne.

Stockhausen: Sie vermittelt aber auch eine Art Neutralität. Sie ist bereit, etwas Neues aufzunehmen. Sie will nicht zu viel Eigenes aufdrängen.

Christoph Schmitz im Gespräch mit Rolf Zavelberg und Markus Stockhausen (v. links). ©SilviaBins (c) SilviaBins

Können Sie auch als Musiker mit den Begriffen Weite und Offenheit, wie der Kirchraum sie anbietet, etwas anfangen?

Stockhausen: Ja, durchaus. Ich habe eine natürliche Neigung zum Spirituellen. Ich spiele seit langem die Hälfte meiner Konzerte in Kirchen. Die Akustik des Innenraums von Sankt Maternus kam mir immer sehr entgegen. Es gibt einen Hall von etwa sieben Sekunden. Das heißt ich kann einen Ton spielen, und der Ton steht für eine ganze Weile im Raum. Und ich kann andere Töne hinzufügen, die dann alle zusammen einen Akkord bilden. Wenn ich dann im weiteren Verlauf bestimmte Töne wähle, kann ich Akkordfortsetzungen zum Klingen bringen. Ich bin also in der Lage, eine harmonische Entwicklung zu skizzieren. Das habe ich oft gemacht und daraus eine Art Technik entwickelt, dass ich nämlich beispielsweise höhere, lautere Töne spiele, dann leisere drunter. Die höheren lauteren Töne bleiben dann länger stehen, und die unteren verklingen schneller. So kann ich, während der obere Ton noch erklingt, untere dazuspielen und damit den oberen immer wieder neu färben. Und die Obertöne können sich in einer Kirche wie Sankt Maternus besonders stark entwickeln. Das ganze Spektrum der Klangfarben blüht förmlich auf. Der besonders lange Nachhall in Maternus lädt auch dazu ein, Klänge nachklingen zu lassen und stille Momente zwischen den Tönen auf natürliche Weise zu erzeugen. Dann schwingt etwas fort, und dies nicht nur im Echo, sondern auch nach dem Echo. Man hört dem Nachklang nach, und wenn er verebbt ist, hört man eine Stille, die aber keine leere Stille ist, sondern eine erfüllte Stille. Die Stille lebt im Klang, und der Klang lebt in der Stille weiter. Das heißt, es ist ein Geben und Nehmen zwischen Raum und Zeit.

Das klingt ja fast, als habe St. Maternus mythische Klangqualitäten.

Stockhausen: Alles kommt ja aus der Stille. Die ganze Existenz kommt aus der Stille oder aus dem Sein, wie Meister Eckhart sagen würde. Jede Form stammt aus dem Nichtsein, aus einer Leere, die eine andere Art der Fülle ist. Es gibt ein Manifestwerden und ein Verschwinden. Das Leben geht immer wieder in die Verbergung, habe ich einmal bei einem Mystiker gelesen. Das könnte man auch auf Maternus bezogen sagen. Der Begriff der Stille ist die Basis, auf der alles stattfindet. Alle Phänomene des Lebens erscheinen für mich aus dem Nichts und verwandeln sich wieder in ein Nichts.

Sie haben nun beide geschildert, wie Sie mit dem Raum von Maternus umgegangen sind. Haben Sie bei Ihren Auftritten auch aufeinander reagiert?

Zavelberg: Wir haben alle aufeinander reagiert, wir auf den Raum, der Raum auf uns und Markus und ich aufeinander. Markus hat sich zu meinen Lichtinstallationen allerdings auf eine eher unbewusste Art verhalten, weil er ja die Augen beim Spielen meistens geschlossen hält.

Stockhausen: Wir haben als Musiker aber die generelle Atmosphäre des Kirchenraums mitbekommen. Und da wir uns immer wieder auch durch den Kirchenraum bewegten, haben wir gesehen, was Rolf gemacht hat.

Zavelberg: Wenn ich einen Raum mit Licht gestalte, dann suche ich mir oft ganz bestimmte Stellen aus, an denen ich Lichtakzente setze. Ich nehme die energetischen Schwingungen von Orten wahr. So bin ich auch in Sankt Maternus vorgegangen. Ich habe meine Lichtgemälde in den Kirchenraum so platziert, um seine Vibrationen zu verstärken. Diese Orte sind dann wie Akupunkturstellen der Kirche. Und wie eine Akupunktur wirkt das kurzfristig, aber auch langfristig, wenn man die Nadeln wieder wegnimmt.

Stockhausen: Wenn ich zum Konzert in Maternus gekommen bin, ist Rolf Zavelberg mit seinen Leuten schon zwei Tage dort herumgetigert, und sie haben den Raum mit Energie aufgeladen, die ich als Musiker wiederum aufnehmen und weiterentwickeln konnte. Das ganze Energiefeld wurde durch meine intuitive Musik, die ja eine gesteigerte Form der improvisierten Musik ist, intensiviert. Man befindet sich in einem Kontinuum von Schwingungen. Das bezieht das Publikum immer mit ein. "Wie der Übergang in eine andere Welt gestaltet sich der Eintritt in Sankt Maternus, und Stille wird plötzlich hörbar", so hat es einmal der Musikjournalist Odilo Clausnitzer gesagt. Und dem würde ich voll und ganz zustimmen.

Markus Stockhausen und Rolf Zavelberg, vielen Dank für das Gespräch.

-®Gordon Axmann, www.aktivraum.de (c) Gordon Axmann/aktivraum.de